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Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Titel: Das dreizehnte Kapitel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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was mich trägt. Ich lebe von Ihnen. Das erlebe ich. Das ist doch nicht nichts. Auch wenn es nichts ist als Buchstaberei. Ich schau Ihre Sätze an und werde durchströmt von Berührung. Berührung bis ins Innerste. Bis dahin, wo ich mich noch nicht erlebt habe. Aber es bleibt bei nichts. Das ist, was wir haben dürfen: nichts.
    Ich hoffe, Ihnen sei das durch Ihre Theologie bekannt genug: dass nichts ist außer Wörtern. Wir haben EINEN Beruf, Dekorateure des Nichts. Und habe noch nachzutragen, weil mir, wenn ich an Sie schreibe, immer nachher noch etwas einfällt, was dazugehört: der Roman als Sachbuch, das Sachbuch als Roman, dazu als Beleg: Sigmund Freud. Einer der großen Romanciers des 20. Jahrhunderts. Eine bürgerliche Augenöffnung: Den Nobelpreis hat er verdient, klar. In Medizin? Wohl kaum. Aber: in Literatur. Genau so Ihr Karl Barth. Wieso gibt es Akademien für dies und das, wenn doch alles eins ist: Dekoration des Nichts. Und schnell noch: Ich bitte darum, Ihren Vornamen gebrauchen zu dürfen. Er zieht mich so an. Ihr Vorname ist ein Magnetsturm. Er ist das Wort aller Wörter. Ich möchte untergehen in diesem Wort MAJA.
    Das hat mir noch gefehlt, dass Sie Maja heißen. Warum nicht Gerda, Inge, Anneliese?
    Aber Maja …
    Ihr heute Ausgelieferter

14
    Lieber Basil Schlupp,
    so kann ich Sie nennen, wenn Sie mich Maja nennen. Wenn wir einen anderen mit seinem Namen ansprechen, taufen wir ihn wieder oder erneuern doch die allererste Taufe. Ich bin froh, dass Sie auf Vornamennähe gekommen sind. Dazu gehört: Mein Vater war Orientalist und ganz und gar verfallen dem, was in Spanien vor sich gegangen ist von den arabischen Wundern und Gewalten bis zu Goya. Musste er seine einzige Tochter da nicht Maja taufen? In Madrid hat er mir im Prado La Maja gezeigt. Und die Seife, die auch Maja heißt, aber ohne Artikel. Und Sie: Basil! Freut mich! Basil, der Bischof von Caesarea, in Kappadokien. Mir wohlbekannt. Hat er doch um 335 herum ein Traktat geschrieben, in dem er empfiehlt, die Jugend möge bei ihrer Ausbildung sich auch die heidnische Literatur zumuten. Und nannte Homer, Hesiod, Euripides und natürlich Platon.
    Ein solcher Basil sind Sie. Für mich. Sie ritzen meine theologische Rüstung mit literarischen Pfeilen. Luitgard fand Maja nicht gut. Ich fand Luitgard auch nicht gut. Sie sagte, was ihr an Maja nicht passte, ich hätte nur sagen können, dass ich froh war, nicht Luitgard zu heißen. Aber so betrunken, dass ich das hätte sagen können, war ich nie. Ludwig war auf Ludwig stolz. Korbinian, der den Namen von seinem sehr verehrten Vater hat, war da auch unverwundbar. Wir tranken immer zu viel. Ludwig sagte, wir müssten einander auch als total Betrunkene verstehen und ertragen. Erst dann komme heraus, ob wir Freunde seien oder eben auch nur die in Großstädten übliche Zufallsbekanntschaft.
    Zufallsbekanntschaften unter Erwachsenen, gutgestellten, sind abenteuerlichen Prüfungen ausgesetzt. Zusammen im Theater! John Neumeiers Sommernachtstraum-Ballett. Ich hatte den ganzen Abend den Eindruck, auf der Bühne passiere viel mehr, als ich wahrnehmen könne. Ich merkte, dass ich nur noch zuschaute. Ich dachte nichts, empfand fast nichts, ich schaute nur zu, was die da droben alles machten. Und nachher erfahre ich durch Ludwig, dass die Männer viel zu wenig hoch gesprungen seien. Im Bolschoi , wennsie da springen, die Männer, kommen sie erst allmählich wieder herab, aber hier kamen sie erst gar nicht hoch. Und dass die Titania mit dem Esel koitiert, findet halb verschämt im Hintergrund statt. Nein, nein, nein!An solchen Abenden war für mich die peinlichste Prüfung immer Luitgards Schmuck! Sie hat ja ansehnliche, wirklich schön hinausführende Brüste. Die werden durch riskante Ausschnitte immer wieder einladend präsentiert. Dann prangt aber auf diesen hinausführenden Brüsten jedes Mal der Schmuck. Ein Gehänge, das jedes Mal am Hals, um den Hals beginnt und dann in mehreren, breiter werdenden Etappen nach unten führt und sich am Schluss wieder zusammenfindet in einem Stein, für den alle Gehänge-Etappen nur ein Vorspiel waren. Für mich war das tatsächlich die Reifeprobe schlechthin. Ludwig muss Unsummen ausgegeben haben, Luitgard jedes Mal zu einer solchen Schmuckträgerin zu machen. Und trotzdem, der Eindruck: gestohlen. Aus irgendeinem Schloss. Auch dem verehrungsbereiten Korbinian fiel nie ein Satz zur jeweils neuesten Präsentation ein. Allerdings, er war immer von dem, was geredet wurde, so

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