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Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Titel: Das dreizehnte Kapitel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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ihren Namen geraubt habe, nennt er einen Akt der Barbarei und der Dummheit.
    Auf jeden Fall: Dass die Tage der Wortlosigkeit eine Art Folge der Rollstuhl-Ausflüge sind, glaube ich so lange, bis mich Iris eines anderen belehrt. Tatsächlich erzählt sie, wenn wieder gesprochen werden kann, immer gern vom Herrn des Zorns und der Liebe. Er hat ihr auch alle seine Fotobände geschickt. Und ich gebe zu, dass ich seine Arenen, Stadien, Museen und Villen gern anschaue und die Einteilung in weibliche und männliche Bauten für richtig sinnvoll halte. Falls die MS-Schübe den Herrn des Zorns und der Liebe nicht in eine endgültige Fatigue versenken, könnte ich daran denken, mir von ihm eine Behausung bauen zu lassen. Eine weibliche nämlich. Vorausgesetzt, Iris stimme zu.
    Liebe Maja Schneilin, lassen Sie mich hoffen, dass diese Skizze sein durfte.
    Ihr Belletrist

16
    Lieber Freund,
    wir bereiten einander vor auf den Tag der Vereinigung: Zwei Paare begegnen einander, wie noch nie zwei Paare einander begegnen konnten, so vorbereitet. Wir, Sie und ich, müssen hoffen, dass uns die Vorbereitung nicht übel genommen wird.
    Was ich Ihnen jetzt berichten muss, muss ich Ihnen und kann ich nur Ihnen berichten! Korbinian darf es noch nicht erfahren. Es würde ihn so verletzen, wie ihn noch nie etwas verletzen konnte. Also: Ludwig hat ein Buch veröffentlicht. Titel: Hoch hinaus . Die Medien melden es mit Entzücken und Hochachtung. Ein Wirtschaftsgewaltiger öffnet sich. Gewohnt sei man, dass Erfolglose, Gestürzte, nicht zum Zug Gekommene für ihren Frust und ihr Ressentiment Entschädigung in der Literatur suchen und gewöhnlich auch finden. Aber Ludwig Froh eilt von großen Erfolgen zu noch größeren. Und jetzt diese Innenansicht des Aufstiegs. Hoch hinaus . Entzückt sind die Medienleute, weil Ludwig so heiter schreibe, so ausgelassen, so übermütig, ja eigentlich frech. Und dabei so konkret, so tatsächlich, so verbürgt, so wirklichkeitsreich, so authentisch. Authentisch ist das am häufigsten vorkommende Wort. Jetzt, lieber Freund, könnte uns das ja egal oder sogar recht sein, wenn wir selber in dieser Aufstiegserzählung nicht so vorkämen, wie wir darin vorkommen.
    Ich will zuerst einmal durch Zitate belegen, dass ich durchaus im Stand bin, seine Ausdrucksleistung zu schätzen, ja wenn’s denn sein muss, sogar zu bewundern. Viel von dem, was da steht, kennt man schon, wenn man mit Ludwig lange und freundschaftlich zu tun hatte. Dass das Buch nicht geschrieben, sondern gesprochen, also diktiert wurde, wird überall rühmend vermerkt. Vielsagend schon der Aufbau. Drei Teile. Das sei, sagen manche, ein Triptychon. Kameraden. Freunde. Das Imperium. Mich haben die Kameraden am meisten beeindruckt. Ludwig sucht die auf, die mit ihm in Waldshut Schüler waren. Elf leben noch, drei sind gestorben, alle haben es zu etwas gebracht, und Ludwig bewundert und feiert die Lebensleistungen seiner Schulkameraden und -kameradinnen. Aber, ob er einen als erfolgreichen Brauer in Kanada oder als Feuerwehr-Kommandanten in West-Virginia oder als Architekten in Sydney oder als Förster in Westfalen findet, es ist immer, als komme der König zu Besuch zu einem seiner Getreuen, das heißt, die Erzählung lebt davon, dass der König sich so für gar alles interessiert, was der Mann oder die Frau inzwischen getan und erreicht hat. Aber da er dann doch erstaunlich viel erfährt und das eben heiter und frech erzählen kann, folgt man ihm gern. Wie sein Waldshut noch heute in ihm lebt, dokumentiert er gleich am Anfang durch einen gerade geträumten Traum: Sein Geschlechtsteil sei der Maibaum des Städtchens, und die Jungfrauen des Orts kletterten daran um die Wette hinauf, um ihn dann ganz droben zu küssen.
    Dann also die Freunde. Das ist eben das, was Korbinian nicht ertragen würde. Dass Ludwig immer Freunde hatte, wir dagegen nur ihn und Luitgard, das wussten wir. Mein Freund Sowieso, meine Freundin Sowieso, das gehörte zu seinem Wortschatz. Und das waren immer Leute von Rang. Korbinian und ich machten uns, wenn wir alleine waren, auch schon einmal darüber lustig, dass Ludwig so viele Freunde hatte und dass es nur Spektabilitäten waren. Zugleich durften wir uns in dieser Namensgalerie durchaus wohlfühlen.
    Auch in seinem Buch ist er schließlich angekommen bei lauter Prominenz. Er gibt keine Namen an, er charakterisiert und nennt, wodurch seine Freunde prominent geworden sind. Was bei den Kameraden rührend war oder komisch, wird jetzt,

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