Das dreizehnte Kapitel (German Edition)
mehr erfahren über die Freundschaft Ludwig–Korbinian.
Für mich war wichtig, dass Korbinian hingerissen war von Ludwigs Erzählungen, das aber, weil ich dabei war, nicht zugeben wollte. Korbinian ist auch ein Mädchen. Und ein Mann ist er auch. Und genau das macht ihn unwiderstehlich, diese zarte, hilflose Unerbittlichkeit. In allem, Ihre Iris hat das bemerkt.
Sie stecken mich an. Ich will Ihnen etwas schreiben, etwas ganz Bestimmtes, von Ihrem letzten Brief Bewirktes, und dann schreibe ich Ihnen etwas ganz anderes. Ich müsste mir verbieten, Ihnen von Luitgard und Ludwig zu erzählen und dabei dann Korbinian zu verraten. Aber die Verrats-Lust, nicht wahr! Die haben Sie mir angetan.
Eigentlich schreiben wollte ich Ihnen, dass Ihr Hängebrückenbild einer evangelischen Korrektur bedarf. Unsere Brücke wird in die Luft gebaut. Sie hat drüben noch keinen festen Punkt erreicht. Weil ich nicht so wild drauflosbaue wie Sie, sondern mir Hilfe kommen lasse, wo ich sie finde, kann ich Ihnen jetzt anbieten: das In-die-Luft-gestellt-Sein.
Ihre, unsere Wörterbrücke wird in die Luft gebaut. Von einem festen Drüben kann noch nicht die Rede sein. Die Wirklichkeit als Abgrund lasse ich zu. Vorerst. Nehmen wir an, Ihre Brücke sei auch meine Brücke. Eine evangelische Theologin hat (bei ihrem Meister) gelernt, voraussetzungslos zu denken, zu fühlen, zu schreiben. In der «freien Luft» schwebend, sagt der Meister. Ohne Sicherungen. Durch «keine Sicherungen behindert», sagt der Meister. Dagegen ist Ihre Wörterbrücke eine bloße Metapher. Ich möchte Sie verführen zum Brückenbau ins Voraussetzungslose. Wir wissen nicht, wo wir landen werden. Aber wir können’s nicht lassen, ins Voraussetzungslose zu bauen, von Wort zu Wort zu Wort.
Ich bin übermütig genug, den Heiligen Geist für den Souffleur zu halten. Ich bin Ihnen im Umgang mit Voraussetzungslosigkeit überlegen. Nehmen Sie’s ganz positiv! Sie können doch von Glück sagen, dass Sie bei Ihrem wilden Drauflos-Schreiben auf einen Menschen treffen, der in derlei Schreiben Erfahrung hat. Und sei’s nur darin: dass uns an Sicherung nicht gelegen sein darf! Ich werde Ihnen eine Liste mit den Karl-Barth-Stellen schicken, die vom freien Schweben handeln. Weil das für Sie anstrengend sein kann, schließe ich. Wenn Sie glauben, die evangelische Theologie komme für Sie überhaupt nicht in Betracht, lasse ich Sie damit in Ruhe. Allerdings nicht ohne Bedauern.
Ihre frohgemute Theologin
15
Liebe Maestra,
das sind Sie jetzt mit Ihrer freischwebenden Brücke doch geworden; und da sie auch noch voraussetzungslos und sicherheitsabweisend ist, ist sie reine Theologie. Wie hiesig war dagegen die Buchstabenkette, an der ich mich zu Ihnen hinüberhampeln wollte! Und alles, weil ich mich scheute, Ihnen zu verraten, wie irdisch motiviert Iris’ Tage der Wortlosigkeit sind.
Was ich Ihnen jetzt verrate, ist, wie ich mir vorstelle, dass es gewesen sei. Iris hat mir das nicht so mitgeteilt. Es war von Anfang an, also von den ersten Wortlosigkeits-Tagen an, klar, dass man nicht fragen kann: warum. So viel weiß ich auch: Wenn man einen anderen nach dem Grund fragt für etwas ganz und gar Ungewöhnliches und Erstaunliches, dann zwingt man ihn, etwas zu formulieren, was in ihm ein überhaupt nicht fürs Formulieren geeigneter Zustand ist. Also ich habe nicht gefragt, ich habe mitgemacht, aber ich habe mich nicht daran hindern können, Gründe oder vielleicht sogar den Grund für dieses Unalltägliche zu suchen. Und das ist, was dabei herausgekommen ist (und ich bin froh, dass ich durch Sie in Stand gesetzt werde, es endlich auszusprechen). Dass es sich dabei um eine krasse Skelettierung dessen handelt, was wirklich maßgebend war, ist klar.
Es ist dreißig Jahre her, die fünfundzwanzig Jahre alte Iris Tobler ist gerade Frau Doktor geworden, in München, Tierheilkunde, mit einer Arbeit über die Möglichkeit, durch Rückkreuzung aus Hunden wieder Wölfe zu züchten. Wohnt noch bei ihrem Vater, der in Leupolzweiler Tierarzt ist. Mit dieser Arbeit erfüllt sie einen Wunsch ihres Vaters, der in Leupolzweiler ein weitläufiges Gehege hat und darin die Hunde, die er rückkreuzen möchte. Das hat die Tochter erfolgreich ausgewertet. Und hat, sobald sie die Uni los hat, ein Projekt ausgedacht, das sie Haldenhof nennt. Eine Fernsehserie, in der Elf- bis Fünfzehnjährige einen großen Hof betreiben. Die leben so, wie Elf- bis Fünfzehnjährige idealerweise leben würden, wenn es keine
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