Das dreizehnte Kapitel (German Edition)
stammt, ist mir klar, aber sie ist gerecht, sie drückt aus, was dann als von Ihnen gesagt folgt. Darüber will ich keine Auseinandersetzung, verzichte auf Einzelnes, darf es Ihrem Nachdenken überlassen, das, was jetzt zwischen uns herrscht, als verhältnismäßig zu erkennen. Es geht nicht darum, recht zu haben. Es ist eine Frage des Stils.
Ohne Groll und mit guten Wünschen für Ihre Zukunft,
Maja Schneilin
3
30. Dezember 2010
Sehr verehrte Frau Professor,
ich gebe zu viele Interviews, weil die, die mich darum bitten, mit diesen Interviews ihr Geld verdienen. So wie auch ich am Anfang das nötige Geld verdient habe dadurch, dass ich die damals Prominenten interviewte. Jetzt halte ich es für eine Frage der Höflichkeit, diese immer lästigen Interviews zu geben. Womit wir schon beim Thema dieses Interviews sind.
Die Interviewerin hat gefragt: Welche Rolle haben Frauen in Ihrem Leben gespielt? Ich habe geantwortet, dass ich Frauen gegenüber immer höflich sein wollte. Dass das meiste, was zwischen mir und Frauen geschah, aus Höflichkeit geschah. Sollte das Ihren Unwillen geweckt haben?
Gibt es etwas Dümmeres, als sich zu verteidigen?
Eine Frage des Stils!
Dann habe ich keine Chance. Was Stil ist, bestimmen Sie. Ich weiß es nicht. Ich weiß nichts. Ich will nichts wissen. Sie sind die Instanz. Sie können es sich leisten, mir eine Zukunft zu wünschen. Ich werde Iris das verhängnisvolle Interview lesen lassen.
31. Dezember 2010
Iris hat es gelesen.
Es sei die übliche Mischung aus Prahlerei und Selbstbezichtigung, wobei Prahlerei die Kraftquelle sei. Auch die Selbstbezichtigung sei Prahlerei.
Vielleicht können Sie, so informiert – und ich glaube, Iris hat recht –, das Interview noch einmal lesen. Mir würde es schon helfen zu erfahren, womit ich Sie verletzt habe. Dass ich das überhaupt nicht ahne, spricht am meisten gegen mich. Das wenigstens ahne ich.
Als der Ihnen immer noch ergebene
B. Sch.
4
15. Januar 2011
Sehr geehrter Herr Schlupp,
Ihr Brief ist eingetroffen, ich habe ihn nicht gelesen. Dass Sie sich mit Hilfe von Argumenten ins Recht setzen können, bezweifle ich nicht. Aber wie gesagt: Es ist eine Frage des Stils.
Ihr Interview für diese Frauenzeitschrift hat mir demonstriert, wie sehr ich hereingefallen bin. Sie haben mich nicht hereingelegt. Ich fühlte mich verraten. Anders verraten, als wir mit einander den Verrat kultivierten. Verraten von Ihnen fühlte ich mich. Sie haben mir eine Lebensnotwendigkeit vorgespielt, die es für Sie gar nicht gibt. Für Sie war es hundertmal geübte Routine. Höflichkeit nennen Sie, was Sie Frauen gegenüber praktizieren. Sie waren immer höflich zu mir. Dabei lassen wir’s. Dass Sie diese Höflichkeit so gut beherrschen, dass die, denen gegenüber sie ausgeübt wird, sie für alles andere, nur nicht für Höflichkeit halten, das eben ist Ihre Kunst. Und weil es das ist und nichts sonst, sage ich: Es ist eine Frage des Stils.
Und das wissen Sie jetzt. Ich werde keinen Ihrer Briefe mehr lesen. Auch das ist eine Frage des Stils. Meines. Stils.
Mit guten Wünschen,
Maja Schneilin
5
17. Januar 2011
Sehr verehrte Frau Schneilin,
dass Sie meine Briefe nicht mehr lesen, ist für mich kein Grund, Ihnen nicht mehr zu schreiben. Ich bin Schriftsteller genug, dass ich auch dann noch schreibe, wenn ich weiß oder annehmen muss, dass kein Mensch mich noch liest. Im Gegenteil, nicht mehr gelesen zu werden befreit von jener nie ganz zu überwindenden Schwäche, verständlich sein zu müssen. Ich kann Ihnen jetzt vielleicht sogar Sätze schreiben, die ich nie hätte schreiben können, wenn ich immer hätte daran denken müssen, Sie läsen diese Sätze. Tatsächlich sind wir Schriftsteller, solange wir ans Verständlichsein denken, schon halb verloren. Verständlich sein, das ist dann gleich auch annehmbar sein, zurechnungsfähig sein, brauchbar sein und so weiter. Und mit all diesen Notwendigkeiten belegt, erstirbt die Fähigkeit, dich auszudrücken, wie du es eigentlich möchtest und solltest. Und ich nehme an und hoffe, so gehe es nicht nur Schriftstellern, sondern allen Menschen. Einem anderen verständlich zu sein macht aus jedem eine schlichte oder schlechte Übersetzung dessen, was wir sind, was wir sein könnten, wenn wir einem anderen verständlich wären, ohne dass wir uns übersetzen müssten. Übersetzen in die Sprache des anderen.
Ich nenne diese Fundamentalbedingung, die mir, die uns auferlegt ist, Höflichkeit.
Dass ich auch
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