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Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Das dreizehnte Kapitel (German Edition)

Titel: Das dreizehnte Kapitel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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näher kommen.
    Es ist Zeit, den Abschiedsbrief zu entwerfen.
    Es war immer unmöglich. Aber es gab dieses Spiel mit dieser Unmöglichkeit. Vergleichbar mit dem, was mit Gott ist. Zu sagen, es gebe ihn nicht, ist so unsinnig wie zu sagen, es gebe ihn. Es gibt welche, die sagen, sie seien atheistisch. Keiner sagt: Ich bin unmusikalisch. Lassen wir das Spiel. Endgültigkeit jetzt. Eine mir noch unbekannte Schwere. Diesen Brief nicht wegschicken. Verstummen.
    Aber wenn ich Picasso wäre, würdest Du mir weiter Briefe schreiben. Dass es schwer ist, sauschwer, nicht Picasso zu sein, erlebe ich jetzt. Erst jetzt. Aber morgen wieder an den Apparat gehen: Es sind keine Objekte in dieser Ansicht vorhanden.
    Auch wenn ich ihr nichts mehr schicke – ich werde an jedem Morgen an den Apparat gehen und das Nichts produzieren. Den Schlag für diesen Tag. Und mache mir vor, in einer noch nicht fassbaren Zukunft nicht mehr an den Apparat zu gehen, nie mehr zu lesen:
    Es sind keine Objekte in dieser Ansicht vorhanden.
    Das mache ich mir vor. Mehr nicht.
    Und es bleibt unverständlich. Zum Glück. Endlich etwas Unverständliches. Imitiere ich die geheimnisträchtige Iris? Das simple Gefühl stößt ins Leere, stößt auf nichts, begegnet allenfalls immer wieder nur sich selbst bzw. nichts. Hüte dich, dieses Nichts auszustatten mit Verständlichkeit. Lehn alles ab. Das aktuelle Nichts löscht aus, was tut, als sei es gewesen. Jetzt herrscht nichts. Erweise dich dessen würdig. Das ist ein Ritterschlag. Ritter des Nichts.
    Es muss erlaubt sein, Dich zu vermissen.
    Ich werde statt Deiner die Erinnerung küssen.
    Berufsbezeichnung: Dekorateur.
    Es gibt keine Verzweiflung. Es gibt nur Wörter für das, was es nicht gibt.
    Mein letzter Satz: Es sind keine Objekte in dieser Ansicht vorhanden.

27
    Iris. Ja, Iris. Immer, immer Iris.
    Was in den großen Gebäuden die Fluchtwege sind, das ist in meinem Dasein Iris. Immer schon.
    Liebe Iris. Das Schlimmste: Wenn ich dich, weil das und das passiert bzw. nicht passiert, noch deutlicher liebe als immer schon, dann fühlt sich das entwertet an. Weil das und das passiert beziehungsweise nicht passiert, bist du jetzt der Fluchtweg in meinem zusammenkrachenden Einbildungsgebäude.
    Ich widerspreche. Die Liebe zu dir ist etwas Eigenes, Unvergleichliches. Sie hilft mir nicht gegen das und das. Aber es gibt sie jetzt so deutlich wie noch nie.
    Wie wir umgehen mit einander, Iris. Mich ergreift’s.
    Du bist der einzige Mensch, der meine zunehmende Schwerhörigkeit merken könnte. Du sagst nichts. Im Gegenteil. Alles, was du sagst, sagst du so leise wie noch nie. Meine genau gemessene Schwerhörigkeit, die ich durch nichts korrigiere, entspricht genau deiner immer leiser werdenden Stimme. Du willst mir vielleicht durch dein Leiserwerden sagen, ich sei gar nicht dabei, taub zu werden, es sei, wenn ich immer weniger verstehe, dein Leiserwerden.
    Wir hören einander. Aber es ist nicht nötig, dass wir, was gesagt wird, verstehen. Es wäre ganz falsch zu sagen, wir hörten einander nicht mehr. Deine immer leiser werdende Stimme nimmt mich mit. Mit jedem Satz. Manchmal sagst du einen Satz, ich frage, was du gerade gesagt hast, und du sagst den Satz noch einmal, dann verstehe ich ihn nicht nur, es wiederholt sich in mir auch dieser Satz, wie du ihn zuerst gesagt hast. Und wie ich ihn jetzt in mir höre, verstehe ich ihn.
    Das kam öfter vor, bis ich nicht mehr um Wiederholung bat, sondern dem von Iris gesagten Satz nachhörte und ihn verstand, ohne den Wortlaut zu verstehen. Wir sind, was das Verständnis angeht, auf einem guten Weg.

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    Zweiter Teil
    1
    23. Dezember 2010
    Liebe Verschwundene,
    dass nichts mehr kommt, muss das hingenommen werden? Passt das zu dem, was wir gewesen sind? Wurde mir die Luitgard-Ludwig-Geschichte serviert, um das, was jetzt herrscht, vorzubereiten? Ein Aufhören, das rätselhaft zu nennen eine Lyrisierung des brutal Geschehenen wäre. Ist das theologische Machart: aufhören mit einer Unerklärlichkeit? Gibt es nicht ein Menschenrecht auf Verständlichkeit?
    Es grüßt,
der nichts weiß.

2
    30. Dezember 2010
    Sehr geehrter Herr Schlupp,
    es muss möglich sein, Fehlgegangenes zu korrigieren. Im Falschen verharren ist unwürdig. Durch Ihr hochgreifendes Appellieren nötigen Sie mich, Sie auf etwas hinzuweisen, was ich lieber Ihrem Nachdenken überlassen hätte.
    Ihr Interview mit der Überschrift Gelegenheit macht Liebe . Dass die Überschrift von der Redaktion

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