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Das dritte Leben

Das dritte Leben

Titel: Das dritte Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Cordes
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Arzt ist Dr. Matusi aus Nigeria. Hatte unten keine Chance … Wenn ich noch daran denke, wie ich ihn vom Flughafen abgeholt habe, kam mit der Lufthansa direkt aus Lagos. Mager, ängstlich. Hatte sich mit den schwarzen Behörden in Nigeria angelegt.
    »Doktor Matusi!«
    »Herr Professor!«
    »Bereiten Sie alles vor! In einer Stunde operiere ich. Und achten Sie auf die Vornarkose. Wir können uns keine weitere Gefäßverengung leisten!«
    »Ich bereite alles vor«, sagte Dr. Matusi mit sicherer Stimme.
    »Herr Professor!«
    »Was ist denn?« Wiegand wandte sich irritiert um.
    Schwester Angi, die Neue, sah ihn fast ängstlich an. »Da ist eine Dame. Sie läßt sich nicht abweisen. Sie möchte Sie unbedingt sprechen.«
    »Schwester Angi! Ich bin bei der Visite, falls Sie das noch nicht gemerkt haben sollten.«
    Der Chor lachte zustimmend. Schwester Angi bekam einen roten Kopf. »Aber – sie läßt sich wirklich nicht … Sie sagt, sie sei Frau Gertner und es sei sehr wichtig …«
    Er registrierte es medizinisch kühl: Sein Herz setzte tatsächlich einen Schlag aus. »Doktor Bering, machen Sie bitte weiter! Ich bin in einer Stunde im OP zwei.«
    »Sehr wohl, Herr Professor.«
    Wiegand folgte Schwester Angi. Sie wiegte sich in den Hüften. Er hatte keinen Blick dafür. Weder für die Hüften noch für die langen, schlanken Beine. Er hatte keinen Blick für irgend etwas. Er hatte nur einen fast prophetischen Blick in die Zukunft: Jetzt kommt die Katastrophe.
    Hilde Gertner saß in einem der Besuchszimmer. Er ließ sie in sein privates Ordinationszimmer bitten.
    Hinter seinem Schreibtisch stehend, erwartete er sie.
    »Gnädige Frau?« Er neigte leicht den Kopf.
    Der Druck ihrer Hand war schlaff und kalt. Klamme Finger. Zu niedriger Blutdruck.
    Sie setzte sich. Mit zitternden Knien.
    Er ließ sich in seinem Sessel nieder, tat gelassen.
    »Nun, wie geht es Ihnen?«
    »Sie weiß es«, stieß Hilde hervor. »Sie weiß alles.«
    Wiegand hob die Augenbrauen. Er mußte seine Hände im Zaum halten. Nur die Hände. Sie durften nicht zittern. Sie durften ihn nicht verraten.
    »Gnädige Frau – wer weiß was?«
    »Sabine, meine – ich meine – unsere …«, sie wurde rot, »Sabine oder Renate, wie Sie wollen, sie weiß alles. Mein Mann hat die Geburtsurkunde von Renate Berglund gefunden. Es kam zu einer Auseinandersetzung. Sabine kam ins Haus, ohne daß wir es bemerkten. Sie hat alles mit angehört.«
    Wiegand starrte Hilde an.
    »Geburtsurkunde? Was für eine Geburtsurkunde? Sie haben doch wohl nicht Papiere von damals aufgehoben?«
    Hilde hob verzweifelt die Schultern. Stockend erzählte sie, was passiert war.
    Wiegand stand auf, ging zum Fenster. Stand dort, die Hände auf dem Rücken verschränkt – damit sie nicht zitterten.
    »Wie konnten Sie nur so dumm sein und die Dokumente behalten.« Seine Stimme war ohne jeden Vorwurf. Sie klang nur sehr müde, resigniert.
    »Was sollen wir tun?« fragte Hilde tonlos.
    »Ich muß es mir überlegen. Das kommt alles ein bißchen plötzlich.«
    »Aber – vielleicht, wenn ich sage, es wäre alles erfunden, meine Schädelverletzung …«
    Wiegand seufzte. »Aber liebe Frau Gertner. Das glaubt Ihnen Renate doch nie und nimmer.«
    Hilde schlug den Blick nieder.
    »Ich muß jetzt gehen«, sagte Wiegand. »Ich habe eine schwierige Operation vor mir.«
    Grußlos ging er zur Tür. Dort wandte er sich noch einmal um. »Eine schwierige Operation«, wiederholte er.
    Hilde sprang auf, lief zu ihm, packte ihn bei den Aufschlägen seines weißen Kittels.
    »Bitte – Sie müssen mir helfen.«
    Er machte sich von ihren Händen frei.
    »Gehen Sie«, sagte er, »ich werde wieder Kontakt mit Ihnen aufnehmen.«
    Draußen wurde ihm plötzlich schwindlig. Zum ersten Mal in seinem Leben. Er mußte sich an der Fensterbank im Flur festhalten.
    Dann ging er in Dr. Matusis Zimmer. Nahm ein Glas Wasser, schluckte eine Beruhigungstablette. Blickte in den Spiegel.
    Eine weiße Totenmaske starrte ihn an.
    6
    Professor Wiegand konzentrierte sich ganz auf die Operation. Er durfte an nichts anderes denken. Seine Hand durfte nicht zittern.
    Denk nur an den Menschen, der dort liegt – an nichts anderes!
    »Skalpell!«
    Nicht an die Vergangenheit, nicht an die Zukunft.
    Schweiß perlte von seiner Stirn. Die Assistenten sahen es. Ihre Augen über den weißen Schutzmasken waren runde, fragende, schwarze und blaue Steine.
    Starre Steine. Was wissen sie schon?
    »Passen Sie doch auf!« fuhr er Dr. Bering

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