Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das dritte Leben

Das dritte Leben

Titel: Das dritte Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Cordes
Vom Netzwerk:
sie die Kinder. Meine Jungs.
    Ich habe ihnen das Laufen beigebracht. Ich habe sie durch Scharlach, Mumps und Diphtherie gebracht. Ich habe sie das Einmaleins und das Schreiben gelehrt, als sie noch keine fünf Jahre alt waren. Ich habe sie mit zum Fischen genommen und mit ins Revier. Ich habe ihnen das Schwimmen beigebracht, und daß man gut zu Tieren ist. Ich habe mit ihnen oben auf dem Gipfel des Trimhorns gestanden und die Dolomiten gesehen. Ich habe mit ihnen in den Pyrenäen die Steinböcke gefilmt. Drei kleine Jungs im Märchenland. Mit ihrem Vater, den sie anbeten.
    Er ging zu Irenes Zimmer. Stieß die Tür auf.
    Sie saß vor dem großen Kristallspiegel. Schwarzes, tief dekolletiertes Kleid, Samt auf seidiger Haut. Ihr goldenes Haar leuchtete und sprühte. Sie drehte sich um, als er eintrat.
    »Matthias! Schon fertig?«
    Sie schien schöner, als er sie je zuvor gesehen hatte.
    Er räusperte sich, bekam keinen Ton heraus.
    »Was ist?« fragte sie lächelnd.
    »Ich muß mit dir sprechen.« Seine Stimme klang flach.
    »So ernst?« Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht.
    »Ja«, sagte er, und es war fast wie ein Röcheln. »Es ist sehr ernst.«
    Irene erhob sich. Sie war kühl und gelassen wie immer. »Sehr ernst?« fragte sie. »Ist etwas in der Klinik passiert?«
    »Nein, es ist nichts in der Klinik passiert.«
    Sie trat näher, sah ihn prüfend an. »Aber Matthias – so kenne ich dich gar nicht. So ernst – und so blaß!«
    »Ich fühle mich auch nicht wohl.« Er zog das goldene Etui aus der Hosentasche, zündete sich eine Zigarette an. Seine Hand zitterte.
    »Also«, sagte Irene, »was wolltest du mir sagen?«
    Er brachte keinen Ton heraus.
    In diesem Moment öffnete sich die Tür, und die beiden jüngsten seiner Kinder, Walter und Michael, stürmten herein.
    »Michi! Was soll das?« Irene wollte die Kinder aus dem Zimmer scheuchen.
    »Laß sie«, sagte Wiegand, und seine Stimme klang mit einemmal wieder ganz normal. Er hob Michi auf, schwenkte ihn hoch in die Luft.
    »Daddy – ich habe eine Eins in Schönschreiben bekommen!« rief der Sechsjährige.
    Walter, der Neunjährige, zog die Nase kraus. »Na, wenn schon«, sagte er, »dafür bist du im Rechnen ein krummer Besen!«
    »Walter!« Irene mußte gegen ihren Willen lachen.
    Wiegand setzte Michi wieder auf den Boden.
    »Macht, daß ihr ins Bett kommt«, befahl er.
    »Och, schon ins Bett? Lina ist doch da, die paßt schon auf, wenn ihr weg seid!«
    »Raus jetzt!« Irene schloß lachend die Tür hinter den beiden Kindern.
    »So!« Sie kam zu Matthias zurück und sah ihn fragend an.
    Er hob die Schultern. »Was soll ich dich mit meinen Sorgen behelligen? So schlimm ist es nun auch wieder nicht.« Er versuchte, seiner Stimme einen gelassenen Ton zu geben. Von einer Sekunde auf die andere hatte er sich entschieden, ihr nichts zu sagen. Von dem Moment an, als die Kinder ins Zimmer gestürmt kamen, konnte er es nicht mehr.
    Argwohn flackerte in Irenes Augen auf. Sie sah ihn unter halb gesenkten Lidern an.
    »Zuerst so ernst – und nun so gelassen?«
    Er versuchte ein Lächeln. Es gelang ihm.
    »Es ist ernst, zugegeben. Aber es ist eine berufliche Sache.« Das war sogar die halbe Wahrheit.
    »Bisher hast du mir alles erzählt«, sagte sie wie zu sich selbst. Ihre Stimme hatte einen kühlen Klang bekommen.
    »Seit ich die Jungs gesehen habe, weiß ich, was die Hauptsache ist: daß wir alle miteinander glücklich sind. Du sollst es auch sein – und deshalb, ich meine, ich muß dich ja nicht mit allem belasten.«
    »Wie du denkst«, erwiderte Irene lächelnd. Es war dieses ein wenig arrogante und zugleich verzeihende Lächeln, das er manchmal haßte. Und er haßte es besonders in diesem Augenblick, weil er wußte, daß dieses Lächeln berechtigt war – wenn Irene sich auch dieser Tatsache nicht bewußt sein konnte.
    Glitzernd hob sich der Schmuck von Diamanten und Smaragden von ihrem weißen Hals ab. Es war ein schlanker Hals, der in makellose Schultern überging, wie auf einem Mädchenporträt von Modigliani. Das Dekollete war gewagt, zeigte den Ansatz ihrer reifen und doch festen Brüste. Es war gewagt und doch geschmackvoll, es war genau an der subtilen Grenze, die Irene niemals überschritt.
    Mit zwei Schritten war er bei ihr, riß sie in seine Arme. Erstaunt sah sie ihn an.
    Er preßte sie an sich, fühlte die lange Linie ihrer Schenkel, den glatten flachen Leib, den harten Druck ihrer Brüste.
    Er senkte sein Gesicht in ihr goldenes, festlich

Weitere Kostenlose Bücher