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Das dritte Leben

Das dritte Leben

Titel: Das dritte Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Cordes
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die Briefe Alexas auf den Tisch. Die Originale, sie waren vergilbt, an den Ecken eingerissen. Die Geburtsurkunde Renates, verblaßt im Laufe der Jahrzehnte.
    Die Hände ließen den Brieföffner los. Es klirrte. Die Hände griffen nach den Briefen. Hoben sie widerwillig auf. Die Augen glitten über die Zeilen. Schlossen sich. Der Mund schob sich vor. Das Gesicht schien aus wachsig gelbem Stein.
    »Sie hätten es nie zu erfahren brauchen«, sagte Richard. »Ich hätte es Ihnen erspart. Aber nach dem, was Ihre Frau meiner Tochter, meiner Pflegetochter, angetan hat, kann ich Ihnen dies nicht ersparen – in Ihrem eigenen Interesse nicht. Sie sind Anwalt. Sie werden wissen, daß der Vorfall von heute abend hier im Haus mit diesem Warren nicht ohne Konsequenzen bleiben darf.«
    »Ja, ich bin Anwalt«, sagte Berglund. Seine Augen starrten über Richard hinweg. »Ich war in Gefangenschaft«, sagte er. »Ich war in Afrika. Und dann in Amerika. Ich bin geflohen. Aber sie haben mich wieder geschnappt.«
    Dann kamen die Augen zu Richard zurück. Schlossen sich zu Schlitzen. »Wie heißt der Mann?«
    Richard zögerte keinen Moment. Nicht nach dem, was heute mit Renate geschehen war.
    »Wiegand. Professor Matthias Wiegand. Chefarzt der St.-Peters-Klinik in München.«
    Berglund atmete tief durch. Sein Blick verlor sich wieder im Leeren.
    »Ich danke Ihnen.«
    Richard spürte, wie das Blut in sein Gesicht schoß.
    »Sind es die Frauen oder die Männer, die unsere Welt zerstören?« fragte Berglund.
    Richard sah Berglund an. »Es sind weder die Frauen noch die Männer.«
    »Ich danke Ihnen«, sagte Berglund noch einmal.
    Richard erhob sich, ging zur Tür. Drehte sich noch einmal um, ging zum Schreibtisch zurück, nahm die Papiere auf, die Briefe Alexas, die Geburtsurkunde Renates-Sabines, verließ dann den Raum.
    Durch die leere Halle schritt er zur Garderobe, zog seinen Mantel über, öffnete die Haustür.
    Schnee wehte ihm entgegen, der ewige Schnee dieses Winters. Tief atmete er die Nachtluft ein. Dann ließ er die Tür hinter sich ins Schloß fallen.
    Seine Mission war beendet. Renate-Sabine würde zu ihnen zurückkehren. Sie würde wieder bei ihnen leben.
    Und die anderen – Alexa, Berglund, Wiegand –? Hatte er ihr Leben zerstört?
    Nie zuvor hätte er so handeln können wie an diesem Abend. Aber für Renate hatte er es getan. Für sie hatte er die Seile gekappt, die das Schicksalsfloß jener Menschen am Ufer eines bequemen sicheren Lebens gehalten hatten.
    Aber ich bereue es nicht, dachte er. Wer den Wind sät, soll den Sturm ernten.
    Unter großen Vorbehalten entließ der Polizeiarzt Dr. Kaiser Renate in die Obhut ihres Vaters.
    »Sie muß sofort ins Bett, sobald Sie im Hotel sind«, erklärte er. »Sie können froh sein, daß Ihre Tochter eine solche gute Konstitution hat.«
    Richard hatte Sabines Sachen aus dem Hotel Thober geholt. Während sie sich anzog, sprach er draußen auf dem Flur der Wache mit Hellmut Hallig. Er dankte dem jungen Mann noch einmal mit den herzlichsten Worten, die er finden konnte. Dann sagte er: »Ich sehe Sie morgen früh bei mir im Hotel.« Er lächelte. »Denn Sie wollen doch Sabine wiedersehen, nicht wahr?«
    Hallig wurde rot. »Wenn sie wieder in München ist, möchte ich sie auch gern dort besuchen, wenn ich darf.«
    »Sie dürfen.«
    Alles schien so glatt zu gehen. Alles schien so sicher, alles gelöst. Keine Probleme mehr.
    Hallig fuhr ins Hotel Thober, glücklich, daß Renate aller Gefahr enthoben war, Richard fuhr mit Sabine in sein Hotel.
    Er packte sie ins Bett, machte sich selbst ein Lager auf der schmalen Couch zurecht. Sabine war im Nu eingeschlafen. Richard löschte das Licht.
    Im gleichen Moment fiel ihm der Zettel ein, den ihm der Nachtportier gegeben und den er eingesteckt hatte, voll mit Sabine beschäftigt, ohne ihn überhaupt anzusehen.
    Er ging auf Zehenspitzen ins Bad. Schloß die Tür hinter sich, machte das Licht an.
    »Sie sollen ganz dringend zu Hause in München anrufen, ganz gleich, zu welcher Zeit«, stand auf dem Zettel.
    Er blickte auf seine Armbanduhr. Viertel vor fünf. Konnte er Hilde um diese Zeit wecken? Aber sie machte sich natürlich Sorgen.
    Er zog seine Hose an, schlüpfte in die Pantoffeln, warf seinen blau-grünkarierten Morgenmantel über.
    Unten in der Halle waren alle Lichter bis auf die Tischlampe des Portiers gelöscht.
    Die Verbindung nach München war nach wenigen Minuten hergestellt. Richard trat in die Zelle neben dem geschlossenen

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