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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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verflocht ihre Finger mit meinen. Als wir den Weg am Ufer entlang erreichten, befreite sie ihre Hand und legte sie auf meinen Arm, um sich von mir führen zu lassen.
    Vor dem Haus nahm sie einen Schlüssel aus ihrer Handtasche und schloß die Tür auf, ehe ich meinen Hausschlüssel herausholen konnte.
    „Ein gutes Dienstmädchen hat immer einen Schlüssel bei sich“, sagte sie mit einem Anflug ihrer früheren Heiterkeit.
    Sie knipste schnell das Licht an, warf ihren Mantel über einen Stuhl und frisierte dann ihr Haar vor dem Flurspiegel. Als sie eine Strähne glättete, begegneten sich unsere Augen im Spiegel.
    „Haben Sie etwas zu trinken im Haus?“
    „Der Steinhäger ist noch da, den Sie mitgebracht haben, als ich hier einzog“, sagte ich.
    „Ich hole ihn. Zwei Gläser?“
    „Für mich keins.“
    Sie verschwand in der Küche. Ich ging nach oben und schloß mich im Badezimmer ein. Die vom Spiegel reflektierten hellen Neonlampen machten mich schattenlos.
    Jetzt wurde ich gehetzt. Die Jäger verfolgten mich nicht mehr heimlich, sondern hatten ihre Deckung verlassen. Die Maske war mir heruntergerissen worden – wie Gobel es ausgedrückt hätte. Ich wußte nicht, ob Nemeth Gewalt anwenden würde. Die Normalität eines Menschen steht zwischen dem Wunsch zu töten und tatsächlich ein Mörder zu werden. Wie normal war Nemeth? Seine Verzweiflung war tief in ihm verwurzelt, seine Angst, daß 232 einer Regierung in die Hände fallen könnte, die es für ihre Terrormethoden verwenden würde, war echt. Kubatschew war ihm näher als ich. Er würde erst hinter ihm her sein, wenn er wirklich etwas so Dramatisches vorhatte.
    Ich hatte nichts zugegeben. Kubatschew würde nie von seiner Suche ablassen, und immer grübeln, wie weit ich vorangekommen war. Entweder würde Nemeth ihn kurz vor dem Erfolg davon abhalten – oder hinter mir her sein.
    Sollte ich packen und abreisen? In welches Land? In welche Stadt? Was würde durch Davonlaufen gelöst?
    Ich setzte mich auf den Rand der Badewanne und betrachtete den Zerstäuber mit dem 232. Die Flüssigkeit war etwas vergilbt. War es möglich, 232 synthetisch herzustellen? Ich hatte bereits eine Hypothese, wie sich das machen ließe.
    Vielleicht durch Anwendung einer Wurtz-Fittig-Reaktion zwischen Trimethoxybrombenzol und Alpha-Brombernsteinsäure – nein, ich mußte wegen des Natriums den Diäthylesther verwenden. Jedenfalls konnte ich dann den Esther spalten, um wieder zur freien Säure zu gelangen, dann das Chlorsalz dieser Säure bilden. Noch besser wäre es allerdings, den Esther zum Diamid zu amidieren – das dann durch eine Hoffmann-Reaktion zum Diamin umgewandelt werden könnte. Ich würde so beim Kondensieren ein Gemisch leicht trennbarer Komponenten erhalten – so wäre es jedenfalls leichter, als der Versuch, die Aryl- und Alkylsegmente in einer Friedel-Craft’schen Reaktion zu kondensieren. Aber warum jetzt darüber nachdenken?
    Obwohl es Kubatschew noch nicht gelungen war, 232 zu isolieren, war ich, da ich seinen Gedanken gefolgt war, sicher, daß es ihm gelingen würde. Aber ich glaubte nicht, daß er imstande wäre, 232 in größerer Menge zu gewinnen. Ich selbst sah von einer künstlichen Herstellung ab, und Kubatschew wäre wohl nicht sobald dazu imstande.
    Aber ohne eine erfolgreiche künstliche Herstellung der Verbindung würden meine ESP-Fähigkeiten nur eine vorübergehende Kraftprobe bleiben. Ich konnte die Verbindung in dem Zerstäuber nur durch ein langwieriges Reinigungsverfahren und die Synthese eines stabilen Derivats aus Material von einem Medium wie Madame Dolores ersetzen; eine Aufgabe, die sich nur schwer wiederholen ließ. Vielleicht traf ich sie nie mehr in der richtigen Stimmung an. Wenn Kubatschew sich ihrer bedienen würde, mißlang es ihm möglicherweise. Nemeths Angst war solange unbegründet, wie die Struktur des Derivats und das aktive Material unbekannt und eine vernünftige Methode zur künstlichen Herstellung noch nicht entwickelt waren.
    Ich hielt die Düse des Zerstäubers unter meine Nase und inhalierte einen Spritzer, wahrscheinlich einen zu großen. Unverzüglich klärte sich mein Verstand, so wie ein dampfbeschlagenes Glas wieder durchsichtig wird, und ich hatte den Eindruck, daß irgendjemand vor kurzem in diesem Badezimmer gewesen war. Aber ich konnte nur ein schemenhaftes Bild wahrnehmen, das eine Frau zu sein schien. Astrid? Das Bild wurde von einer Melodie begleitet, die sich wie eine Leierkastenweise wiederholte.
    Ich

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