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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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erschreckenden Effekt auf sie. Ich war in die geheimste Kammer ihres Verstandes eingedrungen und hatte das ausgesprochen, was sie in ihren Gedanken empfand. Sie sprang auf, stieß das Glas um, ließ die Zigarette fallen, hielt die Hand vor dem Mund und schrie. Ihre Augen starrten mich an, als wäre ich ein Dämon, irgendein Teufel in menschlicher Gestalt.
    Sie versuchte an mir vorbeizukommen, aber ich hielt sie fest. Ihre Zähne waren aufeinandergebissen. Als ich siebeim Handgelenk packte, wand sie ihre Hand mit überraschender Kraft frei.
    „Seien Sie nicht hysterisch!“ brüllte ich sie an. Als sie nach mir kratzte, gab ich ihr eine tüchtige Ohrfeige. Sie sank auf einen Stuhl, ihr Verstand lief leer.
    „Verdammt noch mal, beherrschen Sie sich doch!“ brüllte ich aus Angst, unwiderruflich meine Fähigkeit des Gedankenlesens enthüllt zu haben. „Warum entsetzt es Sie so, daß ich ihn erwähne?“
    Sie hob ihr blasses Gesicht. Das Mascara hatte ihre Wangen verschmiert und sie sah aus, wie ein Patient nach einem epileptischen Anfall. Es ist wahr, dachte sie entsetzt, er kann Gedanken lesen !
    „Es war nur ein Schuß ins Blaue“, sagte ich und richtete sie auf. Sie zitterte in meinen Armen. „Verzeihung, das war der Psychologe in mir. Ich hätte seinen Namen nie erwähnen sollen, aber als Sie mich so anschauten, sahen Sie nicht mich, sondern jenen Mann aus Ihrer Vergangenheit. Und ich hatte recht!“ sagte ich und grinste selbstgefällig, um sie zu täuschen.
    Sie beugte den Kopf zurück, blickte mich an und brach dann in Lachen aus, in das sich Hysterie und Erleichterung mischten.
    „Puh!“ seufzte sie. „Einen Augenblick lang dachte ich, daß Sie wirklich ESP hervorrufen könnten!“ Sie zitterte immer noch.
    „Sie reagieren übertrieben, so wie damals, als Madame Dolores angeblich Ihre Gedanken las“, sagte ich. Sie nickte und trat vor den Spiegel; unsere Augen trafen sich darin. Während sie sich die Wangen säuberte, sah sie mich immer noch forschend an.
    „Ich habe an ihn gedacht“, gestand sie. „Warum bin ich nur so durcheinander? Warum möchte ich mit einem Geist zusammenleben?“
    Hinter ihr stehend, legte ich meine Arme um sie, und sie lehnte sich an mich. Dann drehte ich sie um. Ich mußte sie davon überzeugen, daß ich keine übernatürlichen Kräfte besaß. Wenn sie Kubatschew von dieser Szene berichtete, würde sein Verdacht bestätigt.
    „Wenn ich Sie jetzt küssen würde, wäre es nicht Swen, oder?“ fragte ich.
    „Nein“, sagte sie. Sie hatte die Fähigkeit einer Schwedin, mit ihrem ganzen Körper zu antworten. Ich drückte sie an mich; ich war in ihrem Geist und genoß ihre Umarmung, mit der ich mein Gewissen beruhigte. Ich fragte mich, ob ich wie Swen ihr Vertrauen gewinnen konnte. Er erschien wieder in ihrem Geist, und sie stieß sein Bild mit jäher Verzweiflung zurück.
    Ihr Gesicht erbleichte. „Was ist denn los?“ fragte ich.
    „Mir ist gerade eingefallen, daß das Zimmer abgehört wird“, sagte sie, „Gobel hat uns doch erzählt, daß sich hinter diesem altmodischen Schrank ein Mikrofon in der Wand befindet!“
    Ich hatte es vergessen. Gobel hatte die Szene vielleicht auf Band aufgenommen!
    „Soll er doch seinen Spaß haben!“ sagte ich leichthin, um meinen Schock zu verbergen. Ich ging durch die Küche zu der kleinen Kammer, in der das Werkzeug aufbewahrt wurde, kam mit einem Hammer und einem Schraubenzieher zurück. Astrid nahm das Bismarck-Bild von der Wand ab, und ich grub, ihr zuzwinkernd, das Mikrofon heraus. Ich stocherte tiefer in dem Loch herum, bis ich auf Widerstand stieß, brach einen kleinen Klumpen Mörtel heraus und legte das Abhörgerät frei.
    „Wie gefällt Ihnen unsere Aufführung, Gobel?“ fragte ich in den glänzenden Knopf.
    Astrid klammerte sich an mich, den Kopf an meiner Schulter. Sie wünschte sich verzweifelt, daß ich sie mit nach oben ins Schlafzimmer nähme. Nicht die Begierde nach mir löste diesen Gedanken in ihr aus, sondern das Bedürfnis, sich aus Swens Geistergewalt zu befreien.
    Das Zentrum meiner sinnlichen Wahrnehmungen hatte sich verlagert. Ich war stärker von meinem dritten Ohr als von meinen fünf Sinnen abhängig. Unter dem Einfluß des 232 konzentrierte ich mich auf Signale und mißtraute meinem eigenen Sehvermögen und Gehör. Die Manifestationen des dritten Ohres bestimmten meine Handlungen.
    Während ich das Mikrofon mit dem eingebauten Sender entfernte, merkte ich plötzlich, daß wir nicht allein im Zimmer waren.

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