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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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Eine Welle des Entsetzens überkam mich – der Tod stand hinter mir! Das Signal war sehr intensiv: ein dumpfer, betäubender Schmerz im Hinterkopf und ein Schwall von Gedanken, die nicht meine eigenen waren. Eine blitzschnelle Folge von Impressionen zuckte mir durch den Sinn. Ich sah mich selbst mit gespaltenem Schädel auf dem Boden liegen und Astrid auf einem Stuhl zusammengesunken, Blut spuckend. Hinter der Kammer war die Tür, die in den kleinen verwahrlosten Garten führte, dann der steile Hang hinauf zur Elbchaussee, wo ein Wagen stand. Ich erkannte sogar das Modell – ein Opel Kadett.
    Ich kann mich nicht erinnern, je einer absichtlich gegen mich gerichteten körperlichen Gefahr ausgesetzt gewesen zu sein. Niemand hatte mich je mit einem Revolver bedroht oder mich mit einer tödlichen Waffe angegriffen, und ich war nie in einen schweren Unfall verwickelt worden. Obwohl ich im Laboratorium Mißgeschicke und geringfügige Explosionen mitgemacht hatte, hatte ich nie eine Gefahr verspürt, die mein Leben bedrohte.
    Aber ich war mir voller Entsetzen bewußt, daß es innerhalb von Sekunden mit meinem Leben aus sein würde. Die Erkenntnis ängstigte mich nicht; sie schärfte meinen Selbsterhaltungstrieb, der automatisch und blitzschnell handelte. Ohne mich umzudrehen, duckte ich mich hastig, riß Astrid mit und warf dabei den Tisch hinter uns um. Als wir zu Boden stürzten, schrie Astrid, erschrocken über meinen plötzlichen Überfall, entsetzt auf.
    Ich hörte zwei Schüsse, den ersten als gedämpften Knall aus der Küchentür; der zweite folgte fast gleichzeitig, weiter weg und heller. Ich wirbelte im Fallen herum und ein furchtbares Bild brannte sich in meinen Verstand, etwas das mir später wie ein unheimlicher Symbolismus für die Wirkung von 232 vorkam: Ich sah einen Mann, dem die Schädeldecke weggerissen wurde. Er stürzte vornüber wie eine Pappfigur, einen Revolver in der Hand und schlug nicht weit von mir auf den Teppich. Ein roter Geysir bespritzte die Wand.
    Alles vollzog sich innerhalb einer Sekunde. Astrid und ich verharrten unbeweglich auf dem Boden – für eine Ewigkeit – es konnten höchstens drei Sekunden gewesen sein.
    Ich stand auf und betrachtete den hingestreckten Körper, die gesprengte Schädeldecke. Blut sprudelte hervor und umspülte den Mann – ein dunkles Rostrot.
    Ich tat das, was der Detektiv in Kriminalromanen und im Fernsehen zu tun pflegt: ich hob die Waffe auf. Hatte ich Angst, daß der Tote wieder zum Leben erwachen und seinen Angriff wiederholen könnte?
    Dann erst traf mich der Schock mit der Wucht eines Schlages. Ich hob Astrid mit beiden Händen hoch, wandte sie von dem gräßlichen Anblick ab und schüttelte sie. Der Revolver in meiner Hand störte mich dabei, aber ich wollte ihn nicht loslassen.
    Sie schrie mit zusammengekniffenen Augen, würgte dann und mußte sich erbrechen. Ich riß die Haustür auf und stieß Astrid auf die Övelgönne hinaus.
    Drei Männer, einer von ihnen Löffler, rannten aus verschiedenen Richtungen auf uns zu, einer von der Himmelsleiter und zwei aus dem dem kleinen Haus gegenüberliegenden Garten. Hinter mir erschien ein vierter, ein Gewehr mit Zielfernrohr in der Hand.
    „Sind Sie unverletzt?“ rief Löffler mit schweißüberströmtem Gesicht, als wäre er eine lange Strecke gerannt. Astrid übergab sich am Zaun.
    „Schaffen Sie sie von hier fort!“ befahl er einem seiner Männer. „Bringen Sie sie nach Hause und bleiben Sie bei ihr.“
    Er übernahm energisch die Leitung und trat in das Haus, wo der Mann lag. Meine Jacke und meine Hose waren blutbefleckt.
    Löffler betrachtete mich ohne sichtliche Erregung.
    „Sie hätten tot sein müssen“, erklärte er. „Wie konnte er Sie nur aus so kurzer Entfernung verfehlen?“
    „Ich wußte, daß er schießen wollte und warf mich zu Boden, wobei ich das Mädchen mitriß.“
    „Dann müssen Sie ihn gesehen haben.“
    Ich zuckte die Achseln. „Ich weiß nicht, warum ich so schnell reagiert habe“, sagte ich.
    „Dr. Bolt stand mit dem Rücken zu ihm“, sagte der Mann mit dem Gewehr.
    „So?“ sagte ich. „Dann muß ich ihn aus dem Augenwinkel gesehen haben.“
    Das Letzte was ich wollte, war, daß Löffler mich der ESP verdächtigte.
    „Ich bin ihm den Hügel hinab gefolgt und habe beobachtet, wie er durch das Hinterfenster ins Haus kletterte“, sagte der Gewehrträger. „Als ich sah, wie er den Revolver in Anschlag brachte, erschoß ich ihn, aber er hatte noch Gelegenheit, vorher

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