Das dritte Ohr
verfolgen. Ich war im Vorteil, da Kubatschew nicht wußte, daß ich seine Gedanken lesen konnte. Als diese Möglichkeit ihm durch den Sinn huschte, nahm er hastig die Chromatographieplatte, eine dünne Schicht Silicagel auf der Oberfläche einer Glasplatte.
„Wie ich sehe, haben Sie Chromatogramme gemacht“, sagte er wie ein Staatsanwalt, der den Beweis für ein Verbrechen vorlegt.
„Nur um die Reinheit synthetischer Halluzinogene zu überprüfen.“
Er nickte zur Platte hin, während sein Verstand meine Forschungen weiter analysierte:
Ein induzierbares Enzym? Vielleicht ausgelöst durch die Stresshormone der Nebennieren – ähnlich der corticoidalen Auslösung des Tryptophanpyrrols?
Seine Überlegungen waren mir unheimlich:
Ich sollte diesem Medium eine massive Dosis von irgendeinem langwirkenden Corticoid wie Dexamethason geben und beobachten, ob dadurch das Gedankenlesen ausgelöst wird. Hat Bolt das benutzt?
Er schaute mich an, als hätte er mit mir geredet und wartete auf eine Antwort.
„Ich kann Ihnen nicht helfen“, sagte ich. „Sie werfen die gleichen Fragen auf, die mich nicht weiterkommen ließen.“ Er merkte, in seine Analyse vertieft, nicht, daß ich damit meine Fähigkeit des Gedankenlesens enthüllt hatte. Nemeth dagegen wohl. Er starrte mich erschrocken an. Astrids ungeschulter Verstand war nicht in der Lage, unserem komplizierten, sondierenden Gespräch zu folgen.
Ich werde mich dieses Mediums bemächtigen, dachte Kubatschew. Wenn Bolt das Rätsel nicht gelöst hat, so werde ich es tun.
Offensichtlich würde er ähnliche Experimente wie ich anstellen, da ich nicht bereit war, ihm zu helfen. Ich konnte ihn nicht daran hindern. Es war für ihn eine Frage der Zeit und des Glücks, ob er zu meinem Ergebnis gelangen würde. Er versuchte einen letzten Angriff.
„Ich weiß, was Sie finden wollen, Bolt“, sagte er.
„Natürlich wissen Sie das, Sie haben es ja Bauer und seinem Kreis gesagt.“
Er überging meine Erwiderung. „Lassen Sie uns doch dieses Problem gemeinsam lösen. Warum wollen Sie nicht mit mir zusammenarbeiten – es sei denn, Sie haben das Problem schon gelöst? Ist das der Fall?“
Ich stand, dieses Kreuzverhörs überdrüssig, auf.
„Meine Bespitzelung durch Sie verrät Ihre wahren Absichten. Sogar wenn ich bei meinen Forschungen Erfolg gehabt hätte, könnte ich weder Ihnen, Kubatschew, noch Bauer, noch sonst jemandem trauen. Auch glaube ich nicht an Ihre hohen Ideale.“
„Wir haben Fehler gemacht“, gab Kubatschew zu. „Um eine Welt der Ehrlichkeit zu schaffen, fingen wir an, Ihnen gegenüber unehrlich zu sein, aber glauben Sie mir, auch Sie haben Schuld. Sie sind immer unnahbar gewesen. Ich sah keinen anderen Weg, Ihren Forschungen auf die Spur zu kommen.“
„Ich hoffe nur, daß Sie alle versagen“, rief Nemeth plötzlich. Bilder von gefolterten Menschen, feuchten dunklen Zellen, Erschießungskommandos, Stacheldraht und unbeschreiblichem Terror stürzten in einer Lawine lang aufgestauter Ängste durch sein Hirn. „Erkennen Sie denn nicht, welches Unheil Sie durch Ihre rücksichtslose Erforschung des ESP über die Welt bringen? Die Russen hatten Recht, alle Experimente auf diesem Gebiet einzustellen und zu verbieten. Sie würden Tausende zum Tode verurteilen, wenn Sie Erfolg haben. Wenn eine Regierung in den Besitz dieses Mittels käme, würde jede persönliche Freiheit in jedem Land zermalmt. Warum hören Sie nicht auf, ehe es zu spät ist?“
„Das ist eine schizophrene Angst von Ihnen“, wandte sich Kubatschew ihm zu und schloß ihn im Geist von jeglicher künftigen Forschungsarbeit aus.
Nemeth antwortete nicht. Er stellte sich vor, wie er Kubatschew eigenhändig erschoß, mit einem Kugelhagel aus einer schweren Parabellum. Kubatschew sank, in eben diesem Laboratorium unter zersplitterndem Glas in sich zusammen. Dann sah ich mich selbst und Nemeth, der die Pistole auf mich richtete. Ich erkannte den Raum nicht, in dem er mich zu töten beabsichtigte.
„Das habe ich geahnt, Nemeth. Da Sie zu lange hinter geschlossenen Grenzen gelebt haben, ist Ihr wissenschaftlicher Geist gestorben.“
Kubatschew beschloß, Nemeths Aufenthalt in Hamburg zu beenden und seine Arbeitserlaubnis als Gastwissenschaftler von der Polizei widerrufen zu lassen.
Nemeth wurde plötzlich ganz unterwürfig.
„Verzeihung“, murmelte er. „Vermutlich stehe ich immer noch unter dem Schock meiner früheren Erlebnisse.“
Aber das Bild der auf Kubatschew gerichteten Waffe
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