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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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mehrmals mit dem Gedanken gespielt, den Gashahn aufzudrehen, um sich mit der einzigen Quelle ihrer Liebe, diesem stinkenden Kater, umzubringen.
    Jetzt war sie in ihre Jugend zurückversetzt und erlebte wieder einen bestimmten Augenblick, der für sie ein Symbol der Glückseligkeit war – der tiefsten Glückseligkeit, die sie je gekannt hatte. Ich hätte Wilhelm ihre Gemütsverfassung schildern können, so wie ich ihm die der Geistesgestörten hätte beschreiben können; 232 vermochte ihre geistigen Vorgänge mit frappierender Klarheit zu offenbaren.
    Es war möglich, daß diese ‚Verrückten’ im Gegensatz zu den normalen, aber unglücklichen Menschen um sie herum, Frieden und Zufriedenheit gefunden hatten.
    „Ich kann nichts für sie tun – und wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun“, sagte ich und machte Anstalten, das Zimmer zu verlassen.
    „Bolt!“ Wilhelm trat mir in den Weg. „Ohne Sie befände sie sich nicht in diesem Zustand!“
    Durch seinen Ausbruch versuchte er, seine eigene Schuld auf mich abzuwälzen. Er hatte eine kriminelle Handlung begangen, als er sie dem Experiment in der Isolierzelle unterzog. Nach dem Gesetz war sie eine Privatperson und keine Patientin. Er hatte sie in einen Zustand versetzt, der ihr Bewußtsein auslöschte und sie in ihre Vergangenheit zurückwarf. Sie war über die Grenzlinie der Wirklichkeit in eine Welt getreten, in der sie bleiben und aus der sie nicht mehr zurückkehren wollte.
    „Gedulden Sie sich noch eine Weile, dann wird sie schon daraus erwachen“, sagte ich, „obwohl sie Ihnen nicht dankbar dafür sein wird, daß Sie ihren Traum gestört haben.“
    „Vielleicht wird sie auf eine Schockbehandlung reagieren“, schlug Magnussen vor. Er hatte Kubatschew geholfen, der ihn, wie er befürchtete, nun im Stich gelassen hatte. Obwohl er nichts Genaueres wußte, spürte er undeutlich, daß er ausgenützt worden war.
    „Vielleicht sinkt sie dann in noch tiefere Trance“, entgegnete ich. „Manche Menschen möchten den Zustand der Halluzination nicht verlassen. Manche suchen Zuflucht im Drogenrausch. Für sie ist die Halluzination womöglich eine Gemütsverfassung, die sie dem Leben in einer normalen Gesellschaft bei weitem vorziehen. Sie haben ihr einen Gefallen erwiesen!“
    „Um Himmelswillen!“ brauste Wilhelm auf, der nicht mehr wußte, wie er mit ihr fertig werden sollte. „Sie sind hierher gekommen und haben unsere ganze Organisation durch Ihre Forschungen über den Haufen geworfen. Wir hatten ein klares Programm. Ich dachte, Sie würden den RAB-Schlaf untersuchen, aber ich kann einfach nicht verstehen, warum Sie nie bereit waren, mit uns zusammenzuarbeiten. Was wollen Sie entdecken? Es muß etwas Gesetzwidriges, etwas Unmenschliches sein. Ich kann mir nicht vorstellen, was es ist. Nemeth muß etwas geahnt haben, warum sollte er sonst versucht haben, Sie zu töten?“
    „Fragen Sie Kubatschew, er kann es Ihnen vielleicht sagen“, erwiderte ich. Drei Feinde starrten mich an; drei Menschen, die durch ein Geheimnis, das sie zwar ahnten, aber nicht zu erfassen vermochten, zutiefst verstört waren.
    „Das werde ich auch tun!“ sagte Wilhelm verzweifelt. „Professor Bauer könnte es ebenfalls wissen.“
    „Natürlich“, sagte ich und verließ das Zimmer. Wilhelm trat zur Türe, als wolle er mich aufhalten.
    Als an sich gewaltloser Mensch war ich nun doch überzeugt davon, daß Kubatschew daran gehindert werden mußte, meine Forschungen zu wiederholen, auch wenn es die Methode erforderte, mit der es Nemeth versucht hatte.
     

26
     
    Ich ging rasch zum Tor, an den Reihen der Unterkünfte mit ihren eingesperrten menschlichen Wracks vorbei. Vorbei an den Laboratorien, in denen die neuzeitlichen Alchimisten versuchten, Medikamente und andere Wirkstoffe zu einem Allheilmittel für Geisteskranke zusammenzubrauen. Einige Insassen spielten Tennis, und wie am Tage meiner Ankunft hörte ich den trockenen Aufprall der Bälle auf dem Beton. Der Kreis hatte sich geschlossen. Ich verließ die Ottendorfer Klinik.
    Bauer wartete in seinem Büro auf mich, vermutlich um mir ein Entgelt für meine Mitarbeit anzubieten. Ich sollte mein Geheimnis an seine multinationale Korporation verkaufen. Er hoffte, daß damit, wie durch die Kuren der Alchimisten, alle Probleme der kranken Welt gelöst sein würden. Aber ich machte mir keine Illusionen mehr über die tief verwurzelte Selbstsucht der Leute, die behaupteten, die Welt bessern zu wollen. Ich war sicher, daß Wilhelm

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