Das dritte Ohr
beiden Männer hinter uns wurden immer verwirrter. Sie hörten Kubatschew nicht sprechen. Nur ich sagte von Zeit zu Zeit einen Satz laut.
„Stellen Sie Ihre eigenen Überlegungen an, Kubatschew“, sagte ich. „Ich werde nie und nimmer mit Ihnen zusammenarbeiten. Und jetzt lassen Sie mich aussteigen!“
Er überhörte meinen Befehl und fuhr weiter.
Ich bin nicht sehr schöpferisch, dachte er, aber ich bin ein ausgezeichneter Spürhund. Ich kann ohne weiteres Ihrer Fährte folgen. Ich bin sehr begabt darin, die kompliziertesten biochemischen Verfahren technisch durchzuführen. Ich bin sicher, daß Sie schließlich doch mit mir zusammenarbeiten werden.
„Und wenn ich das nicht tue? Wie können Sie mich dazu zwingen? Indem Sie mich gefangenhalten? Das nützt nichts, Kubatschew – und das wissen Sie genau!“
Wenn ich in Ihrer Nähe bleibe, werden Sie Ihre Gedanken nicht lange unterdrücken können, sagte er stumm. Ich werde sie erfahren!
Wir kamen zu den Landungsbrücken. Es war Markttag, und das Hafenviertel wimmelte von Kauflustigen. Buden waren aufgestellt worden, in denen Fischhändler meterlange Räucheraale versteigerten. Stände säumten die Kopfsteinpflasterstraßen zwischen Fluß und Hafenviertel, an denen Händler ihre Ware feilboten – Gemüse, Textilien, sogar lebende Vögel in Käfigen.
Kubatschew parkte zwischen zwei großen Lastwagen. Die beiden Männer sprangen hinaus und blieben mir so dicht auf den Fersen, daß ich gezwungen war, Kubatschew zu folgen. Wir kamen zu einem Hafenrundfahrtschiff. Kubatschew zog zwei Billetts heraus; er hatte die Fahrt vorbereitet. Die beiden Männer folgten uns. Ich wagte nicht, Ausschau nach Löfflers Männern zuhalten, denn ich befürchtete, daß Kubatschew sonst durch meine Gedanken gewarnt werden würde.
Ein Fotograf, der auf einer Kaileiter stand, richtete seinen Apparat auf uns. Ich hatte plötzlich das Gefühl, daß er einer von Löfflers Männern war, denn er machte in schneller Folge mehrere Bilder in unsere Richtung, sprang dann von der Leiter herunter und verschwand in der Menschenmenge.
Das Schiff füllte sich schnell mit Touristen, von denen die meisten Fotoapparate oder Filmkameras bei sich hatten.
Kubatschew nahm am Heck neben mir Platz und die beiden Gorillas setzten sich uns gegenüber auf die schmale Bank. Ein Mann mit schwarzer Baskenmütze sprach mit einer Frau in einem roten Kleid. Sie trug einen Hut, der wie eine Badekappe aussah und hatte einen Fotoapparat bei sich. Er redete unentwegt, und Fetzen seines Gesprächs schwirrten durch die von Geräuschen erfüllte Luft. Nach den Gesprächsfetzen zu urteilen, die zu mir hinwehten, schien er vom Hafen zu reden und die Zeit zu schildern, in der er während des Krieges für die Schiffahrt gesperrt gewesen war. Aber sein Geist dachte an Selbstmord. Da ich mich auf ihn konzentrierte, gelangten seine Gedanken deutlich zu mir. Er dachte daran, sich zu erschießen, dann sich zu ertränken; aber er hatte Angst, nicht richtig zu treffen und sich nur das Augenlicht zu rauben oder aus dem Wasser gezogen zu werden. Ich warf Kubatschew, der meiner Fährte folgte und sich ebenfalls auf den Mann konzentrierte, einen Blick zu. Unsere Augen begegneten sich, und ich las Überraschung in seinem Verstand.
„Wie werden wir diesen Anstürmen nebelhaft wirbelnder Gedanken standhalten können, die über uns hereinbrechen?“ Er sprach mit mir. „Ich weiß nicht, wie lange ich das ertragen kann.“
Ich zog keine Flucht mehr in Betracht. Was konnte ich tun? Mir den Weg durch die Menge freikämpfen und zurück zum Kai rennen? Das Schiff stieß gerade ab, dafür war es zu spät. Ich betrachtete den Kai mit seinen alten Stein türmen, die merkwürdigerweise die Luftangriffe während des Krieges unversehrt überstanden hatten. Das Schiff tuckerte an dem bunten Trubel des Marktes vorbei. Als es seine Fahrt beschleunigte, erklang die Stimme des Fremdenführers aus dem Lautsprecher und gab eine mit Witzeleien gespickte Rede zum besten, die er wohl dutzendmal am Tag hielt.
Kubatschew konzentrierte sich auf mich und versuchte, mir meine Gedanken zu entreißen, aber ich vermied es willentlich, an meine gegenwärtige Situation als Gefangener zu denken. Meine offensichtliche Gleichgültigkeit begann ihn zu entnerven.
Chemische Formeln schossen mir durch den Sinn. Ich wußte nicht, ob nicht eine Ringbindung der Alkyldiaminkette nach deren Synthese eine bessere Methode wäre, als die Aryl- und Alkylkomponenten des Moleküls
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