Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
begann. Im Flur erklang das vertraute dumpfe Poltern, und ich stand auf, um die Tür zu öffnen. Eine glühende Erscheinung kam auf mich zu und zog ihre leblosen Glieder hinter sich her wie sperrige Baumstümpfe. Ihr Gesicht war nach unten gewandt, aber es war eindeutig eine Frau mit langen, dunklen Haaren. Als sie hochschaute, konnte ich sehen, dass ihre Züge so verstümmelt waren wie ihre Glieder, irgendwie kamen sie mir jedoch auch bekannt vor. Ich hatte diese Kreatur schon einmal gesehen. Sie war es, die am Vorabend vor dem Hotel zusammengebrochen war – ich wusste nämlich mit jeder Faser meines Körpers, dass es sich um keine Schauspielerin gehandelt hatte, und das war auch keine Attrappe gewesen, weder Schaufensterpuppe noch Dummy. Es war mir egal, was die Leute glaubten. Die Sache nagte an mir, ging mir durch Mark und Bein: Das war eine echte Leiche gewesen.
Aber das war nicht die einzige Erkenntnis. Plötzlich war meine Angst wie weggeblasen, so wie das nur im Traum passiert, und ich hatte Gelegenheit, die Frau in Ruhe zu betrachten: Es war die, die man auch vor der Drogerie angegriffen hatte. Aus irgendeinem Grund knallte ich in diesem Traum die Tür nicht zu, sondern sah lange genug hin, bis das Wesen in all seiner grauenhaften Pracht zu mir aufblickte. Und genau da verwandelte es sich für einen Moment zurück zu dem, was es einmal gewesen war. Und ich erkannte sie wieder: Es war Calliope.
Meine Augen flogen auf, und mein Zimmer war von milchigem Nebel erfüllt. Ich saß im Bett und versuchte ihn wegzublinzeln, aber stattdessen verzog sich der Dunst einfach, kroch durch die Ritzen der Tür und ließ mich allein, während ich versuchte, meine Panik unter Kontrolle zu bekommen.
Es ist ein komisches Gefühl, so erschöpft zu sein, dass sich jeder einzelne Knochen im Körper nach Ruhe sehnt, und dennoch keinen Schlaf zu finden. Aber es gelang mir nicht, diese Traumbilder zu verscheuchen, weil es nicht einfach nur ein Traum gewesen war. Calliope war etwas zugestoßen, über das niemand sprechen wollte. Ich konnte nicht vergessen, was der Fürst zu Aurelia gesagt hatte. Diese dunklen Gestalten, deren Geheimnis die Schwelle zu etwas viel Bestürzenderem überschritten hatte, schienen sich nun gegen mich zusammenzurotten. Und dann war da der Brand in meinem Zimmer. Ich konnte das alles überhaupt nicht begreifen, ich wusste nur, dass ich gute Gründe hatte, mich zu fürchten.
Ich duschte, zog meine Uniform und die hohen Schuhe an und griff nach der Kamera. Ich würde mich eben in die Arbeit stürzen, immerhin musste ich noch Hunderte von Fotos hochladen. Die besten davon würde ich ausdrucken, um sie Aurelia vorzulegen. Bei dem Gedanken an unser tägliches Meeting in demselben Raum, in dem ich sie nur ein paar Stunden zuvor heimlich ausspioniert hatte, lief es mir kalt über den Rücken, und zwar Wirbel für Wirbel mit eisiger Präzision.
Im Hotel schliefen noch alle, als ich die Lobby erreichte. Die ersten Sonnenstrahlen fielen bereits durch das Oberlicht und die Drehtür herein. Alles war relativ ruhig. Durch die Lautsprecher ertönte sanfte Musik, und das gedämpfte Klappern von Besteck war aus dem Capone zu hören, wo man die Tische für den baldigen Frühstücksservice deckte. Am Empfangstisch tippten zarte Finger etwas auf einer Tastatur – eine wunderschöne, uniformierte Rothaarige von Syndikat-Kaliber hatte die erste Schicht übernommen. Ich kannte sie nicht und hatte sie auch nicht porträtiert, also war ich nicht sicher, ob es sich um ein offizielles Mitglied handelte. Ich schob mich durch den Samtvorhang vor der Galerie und zog meine Schlüsselkarte durch den Schlitz. Ein rotes Lämpchen leuchtete auf, und der Zugang blieb mir versperrt, also versuchte ich es noch einmal, diesmal langsamer. Wieder verhöhnte mich das rote Licht. Ich probierte es noch drei Mal und wurde dabei immer frustrierter. Schließlich zog ich am Knauf, rüttelte an der Tür und schaute hindurch. Ich hatte kein Glück, es war niemand da.
Mit flatternden Nerven marschierte ich an der Rothaarigen vorbei direkt zu Aurelias Büro. Ich klopfte an und hätte schwören können, dass ich im Inneren Gemurmel hörte. Ich pochte noch einmal an die Tür. Nichts. Die Stimmen schienen eine Sekunde zu verstummen und fuhren dann fort. Fürs Erste gab ich es auf.
In der Küche des Parlor bereiteten ein paar Mitglieder der Küchenmannschaft mit Uniform und Mütze schon mal einiges für den Tag vor, putzten und hackten leise Gemüse. Ich
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