Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
Worte ausmachen. Einer sagte: »Nach rechts« und der andere: »Es muss perfekt werden.« Dann hörte ich wieder den Ersten: »Das wird es – es gibt keine Alternative.«
Die Alternativen gingen mir langsam auch aus. Ich hatte mich der flammenden Wand jetzt weit genug genähert, um die beiden zu erkennen – zwei kräftige, muskelbepackte Syndikat-Typen –, die im Feuerring eine Art Podest aufstellten. Es hatte etwa den Umfang eines Traktorreifens und war ungefähr einen Meter hoch. Einer der Männer stellte sich gerade probeweise darauf. Der andere nickte mit verschränkten Armen. Meine Schritte verlangsamten sich – konnte ich noch weitergehen, oder würde man mich dann hier im Schatten entdecken?
Meine Finger streiften etwas Kaltes, Glattes an der Wand. Ich blieb stehen und befühlte es mit beiden Händen: Es war eine waagerechte Metallstange, fast so lang und dick wie ein Fahrradlenker. Ich fuhr die Wand darüber und darunter entlang. Da waren Metallstreben in die Wand eingelassen und bildeten eine Leiter. Es war nicht hell genug, um zu sehen, wohin die führte. Ich konnte entweder das Risiko eingehen, hinaufzuklettern und dort oben etwas oder jemand Unheimliches anzutreffen, oder ich konnte bleiben, wo ich war und riskieren, entdeckt zu werden, falls jemand anders diesen Tunnel benutzen würde. Ich stieg hinauf ins Unbekannte.
Das tat ich ganz langsam, Sprosse für Sprosse, und war froh, dass ich unter mir nur einen dunklen Abgrund sah, statt den kalten, harten Fußboden.
Trotzdem begannen meine Handflächen zu schwitzen. Endlich erreichten meine Finger ein Sims aus Ziegeln, und der Lichtschein der Feuerwand erhellte, was ich nun vor mir hatte: einen schmalen Steg von der Breite eines Sprungbretts und mit einer hüfthohen Brüstung, von dem aus man den ganzen Club beobachten konnte. Es handelte sich um eine Metallkonstruktion, die an einer Stelle von diesem Sims ausging und an der auf dieser Seite des Clubs die farbigen Lichter befestigt waren. Ich schob mich auf diese Metallbrücke und duckte mich hinter dem niedrigen Geländer. Hier thronte ich hoch oben, über der Flammenwand, und hatte klare Sicht.
Unter mir eilten Syndikat-Mitglieder herbei und fanden sich anmutig zu einem Kreis rund um den Feuerring zusammen, so als sei dort jedem ein bestimmter Platz zugewiesen. Es war gerade eben so dunkel, dass ich nicht entdeckt werden konnte, wenn ich mich hinkniete und über den Rand der Brüstung spähte. Ich machte es mir bequem und stellte mich auf eine lange Nacht ein.
Um genau halb vier wurden die Lichter zu dem für den Tresor typischen roten Glühen heruntergefahren. Die Syndikat-Mitglieder im Kreis trugen alle ihre Uniform – sie standen inzwischen seit mehr als einer halben Stunde still und wortlos da. Direkt unter mir erklangen nun leise Schritte. Eine Gruppe in schwarzen Kleidern und Anzügen und mit ernstem Gesichtsausdruck kam herein. Selbst von hier oben konnte ich mit Sicherheit sagen, dass ich diese Leute nicht kannte. Unter ihnen waren etwa genauso viele Männer wie Frauen, und alle waren schlank und schön. Beim groben Durchzählen kam ich auf 20.
Sie bildeten nun einen zweiten Ring in dem Kreis der Syndikat-Mitglieder, alle nahmen ihre Plätze ein und starrten den Feuerring an. So wie ich schaute jeder reglos zu und wartete darauf, dass etwas Wichtiges geschah. Endlich leuchtete im graffitigeschmückten Tunnel am Eingang des Clubs ein Scheinwerfer auf, und Lucian marschierte mit Etan herein. In einer einzigen Bewegung drehten sich alle zu ihnen um und sahen zu, wie sie sich dem Feuerring näherten. Die beiden gingen die Wendeltreppe hinauf und stellten sich neben dem neu installierten Podest auf, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Sie sahen nicht zu mir herüber, sondern in die andere Richtung, und ich fragte mich, wonach sie wohl Ausschau hielten. Der Schweinwerfer erlosch und ging wieder an – dieses Mal erhellte er das Podest. Abgesehen von der Flammenwand handelte es sich um das einzige Licht im Raum, selbst der Feuerring war erloschen.
Langsam öffnete sich das Podest, klappte auf wie ein Kiefer, und ein vertrautes, makelloses Gesicht erschien und dann ihr ganzer Körper in einem bodenlangen Abendkleid mit tiefem Dekolleté. Aurelia glühte, ihre Alabasterhaut und ihr seidiges, blondes Haar fingen jeden einzelnen Lichtstrahl auf und warfen ihn zurück. Ihre raue Stimme wurde durch einen Lautsprecher verstärkt: »Willkommen, meine Lämmchen.«
Ein gedämpftes »Hallo«
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