Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)

unter ihnen gewesen, aber hatten die ihn bereits umgarnt? Er war doch sicher zu schlau, um auf so etwas hereinzufallen, oder?
    Andererseits hatte ich mich selbst ja auch für ach so clever gehalten und trotzdem Lucian angeschmachtet. Und Lance war Raphaella auch nicht völlig gleichgültig gewesen. Raphaella . Sie war also fort? Unglaublich, dass man eine Bienenkönigin einfach so entsorgen konnte. Aber so funktionierten diese Menschen, diese Kreaturen, eben. Warum sollten sie Dante also verschonen? Ob er wohl bei der nächsten Einführung dabei sein würde? Mir wurde schon bei der Vorstellung schlecht. Was ich gestern Abend in Aurelias Büro belauscht hatte, war mir allerdings ein kleiner Trost: Sie hatten für unsere Rekrutierung offensichtlich einen Plan und würden sich um die anderen erst kümmern, wenn meine Situation geklärt war. Es lief mir kalt über den Rücken.
    Eins war klar, ich musste unbedingt mit Dante reden. Jetzt blickte ich zum Capone hinüber. Dort war alles mit Ballons und Blumen dekoriert, und es strömten lachende Stammkunden, überwiegend in Bürokleidung, hinaus. Ich hatte nicht als Einzige Wind von der guten Presse bekommen. Am besten knöpfte ich mir Dante so schnell wie möglich vor, ich musste irgendwie an ihn herankommen.
    Aurelia bat mich bereits beim ersten Klopfen herein. Ich atmete einmal tief durch und versuchte zu vergessen, dass sie bei der gestrigen Horrorshow die Zeremonienmeisterin gewesen war. Trotzdem rechnete ich irgendwie damit, dass heute alles anders laufen würde. Ich befürchtete fast, sie würde auf mich losgehen, mich quälen, mir hier und jetzt die Seele stehlen – wie auch immer das funktionierte – und dieser Farce der angeblichen Mentorin-Schützling-Beziehung ein Ende machen. Trotzdem versuchte ich angestrengt, nicht allzu panisch auszusehen.
    »Setz dich«, forderte sie mich streng wie immer auf, wirkte aber trotzdem etwas heiterer als sonst, man konnte fast von guter Laune sprechen. »Wie du hoffentlich gelesen hast, wurde das Capone als einziges Restaurant in Chicago vom Guide Michelin als Dreisternerestaurant ausgezeichnet. Dies ist bisher nur wenigen Lokalen im Land gelungen, es handelt sich also um eine unglaubliche Leistung. Wir sprechen hier von den Oscars der Gastronomie. Stell dich daher in den nächsten Tagen auf eine wahre Flut von Artikeln in der Presse ein.« Ich nickte und hielt den Stapel hoch, den ich bereits für sie ausgedruckt hatte. Bevor ich dazu etwas sagen konnte, sprach sie jedoch bereits weiter.
    »Der Restaurantkritiker soll ja eigentlich anonym bleiben«, verkündete sie in einem Tonfall, der mir zu verstehen geben sollte, dass sie seinen Namen natürlich trotzdem kannte, »deshalb stellen wir einen Geschenkkorb zusammen, um ihn ins Hauptbüro des Guide Michelin zu schicken. Den kannst du im Laufe des Morgens bei Etan abholen. Diese Art von kleinen Aufmerksamkeiten kurbelt das Geschäft an. Um die Auszeichnung zu feiern, werden wir im nächsten Monat ein Menü zu einem Festpreis anbieten, und heute Abend gibt es eine Party.« Sie reichte mir eine Schachtel. »Hier sind die Einladungen dazu, überreicht sie heute den VIP s persönlich, zusammen mit den Pralinen. Natürlich muss das sofort erledigt werden.«
    Ich griff nach dem Karton und öffnete den Deckel, um einen Blick hineinzuwerfen: Darin lagen etwa zwanzig goldverzierte Karten in kleinen Umschlägen mit dem Hotellogo. Um sie zu öffnen, brauchte man Fähigkeiten in der hohen Kunst des Origami. Joan hatte mal dem Planungskomitee der Eröffnungsgala für die neue Kinderkrebsstation im Krankenhaus angehört, damals hatten sie die Einladungen Monate im Voraus bestellen müssen. Das waren natürlich viel mehr gewesen, aber trotzdem. War es überhaupt möglich, dass sie die erst heute Morgen bestellt hatten und sie jetzt schon fertig waren?
    »Toll, danke. Das sind ja aufregende Neuigkeiten«, antwortete ich und schickte mich bereits zum Gehen an, sie sprach jedoch weiter, also sank ich wieder auf den Stuhl zurück.
    »Noch eine Sache zum Thema Öffentlichkeitsarbeit.«
    »Ja?«
    »Wie bereits besprochen organisierst du ja mit deinem Kollegen zusammen die Abschlussbälle von fünf Highschools aus der Gegend, unter anderem auch deiner eigenen. Die Veranstaltungen beginnen im Mai und ziehen sich bis Anfang Juni hin. Bei diesem Projekt übernimmt Lucian die Leitung. Er wird euch Ansprechpartner in den verschiedenen Schulen nennen und Auswahllisten für Verpflegung, Dekoration, Musik