Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
wieder diesen Typen gesehen. Hat er dich in der Galerie gefunden?«, fragte er. Die Mikrowelle war an. »Ist dir schon aufgefallen, dass hier plötzlich tausend neue Leute arbeiten? Wo kommen die bloß alle her?« Ich nahm ihm das Glas aus der Hand und schüttete den Inhalt in die Spüle.
»Hey!«
»Ich muss dir was sagen …«
Er unterbrach mich: »Hiervon kriegst du dann aber auch nichts ab.« Er las mir eine Nachricht vor: »Hi, Haven und Lance, Brie-Krabben-Omelett mit Möhrenmuffins, Würstchen und Speck. Für eineinhalb Minuten in die Mikrowelle. Alles Liebe, Dante.« Ich griff nach dem Zettel, aber er sprach weiter und knabberte jetzt an einer Gabel: »Weißt du, ich hätte ja nicht gedacht, dass ich je wieder Appetit haben werde, aber – lecker!« Die Mikrowelle piepste, ich sauste an ihm vorbei und riss sie auf.
»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte er und nahm die Gabel wie eine Pfeife aus dem Mund.
»Das klingt jetzt wahrscheinlich verrückt, aber …« Mit einer schwungvollen Bewegung packte ich den Teller und beförderte seinen Inhalt – der übrigens köstlich roch – in den Mülleimer.
»Hey!«
»Wir bleiben bei den Frühstücksflocken. Wegen gestern.«
»Im Ernst?«
Ich nahm eine Schachtel Lucky Charms herunter und holte uns zwei Schüsseln.
»Du brichst mir das Herz«, klagte er.
»Ich weiß, aber hm, guck dir doch mal die leckeren Flocken an, die da auf uns warten. Glaub mir, später wirst du es mir danken.« Mit gequältem Gesichtsausdruck nahm Lance auf dem Hocker neben mir Platz, während ich erst seine, dann meine Schale großzügig füllte. »Hier, da ich dir mit dem Omelettopfer das Herz gebrochen habe, kriegst du auch all meine Herzchen.« Ich fischte die wenigen Marshmallow-Herzen aus meiner Schüssel und warf sie in seine.
»Wie zuvorkommend. Damit habe ich dir praktisch schon wieder vergeben.«
So wie Lance aß auch ich drei Riesenportionen. Ich schlang das Zeug einfach runter, so schnell und hastig, als hätte ich seit Wochen nichts gegessen. Irgendwann sah ich hoch und bemerkte, dass Lance mit dem Löffel in der Luft innehielt und mich einfach nur anstarrte. Aber je mehr ich aß, desto größeren Hunger bekam ich. Letzte Nacht war Adrenalin mein Treibstoff gewesen, aber jetzt war ich an einem Tiefpunkt angelangt und musste unbedingt meine Reserven auffüllen.
»Ich glaube, im Tresor ist heute Völlerei angesagt«, witzelte Lance.
»Aha.« Ich war viel zu sehr mit meinem zweiten Nachschlag beschäftigt, um ihm richtig zuzuhören.
»Meine Güte, ich habe noch nie ein Mädchen so reinhauen sehen«, erklärte er andächtig. »Ich meine, mal abgesehen von meiner Tante Linda, und die hat dir ungefähr 100 Kilo voraus.«
Ich entschuldigte mich nicht. Dafür war mein Mund sowieso zu voll, also versuchte ich einfach nur zu lächeln und erklärte schließlich achselzuckend: »Ich hab eben Hunger.«
»Das habe ich mir schon gedacht.«
Wir aßen auf und gingen dann getrennter Wege. Lance fuhr zum Tresor runter, um nach Lucian Ausschau zu halten, und ich holte mir die Zeitungsausschnitte, die ich für Aurelia ausgedruckt hatte, und die Fotos aus dem Club, die Lance schon auf den Flachbildschirm geladen hatte. Unterwegs zu ihrem Büro überflog ich einige der Artikel. Dante wurde in einer ausführlichen Kritik erwähnt, man nannte ihn einen »fähigen, aufstrebenden Stellvertreter des Küchenchefs« und »jemanden, den man im Auge behalten sollte«. Verschiedene andere Schreiber, die sich auf diesen Text bezogen und über die drei Sterne berichteten, brachten ihn ebenfalls zur Sprache. Über Nacht war er fast so etwas wie eine Berühmtheit geworden. Und das nicht nur in Chicago – die New York Times brachte einen kurzen Abschnitt über die Bewertung und nannte Dante Etans »Protegé«.
Mein erster Gedanke war, dass ich zu hart zu ihm gewesen war, er musste ja völlig erschöpft sein, und da hatte ihm der Streit mit mir gerade noch gefehlt. Offenbar hatte er wirklich geschuftet, viel mehr, als ich gedacht hatte – um diesen Restauranttester anzulocken, waren all die langen Abende und die endlosen Vorbereitungen wohl unumgänglich gewesen. Aber es hatte sich ja ausgezahlt.
Trotzdem hatte der gestrige Abend meine Sicht auf die Dinge verändert, und jetzt schlugen meine Gedanken plötzlich eine ganz neue Richtung ein. Ich sah mit einem Mal all die »neuen Rekruten« vor mir, wie sie genannt wurden, und so viele von ihnen hatten zum Küchenpersonal gehört. Dante war nicht
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