Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
auszusuchen – die ungeöffnete Flasche einer bekannten Marke hielt ich für unverdächtig. Ich stellte sie in einen Eiskübel, griff nach einem Sektkelch und einer Servierglocke, mit der ich das Bild abdecken konnte. Dann holte ich mir einen Rollwagen mit schwarzer Tischdecke – wie den, mit dem Dante uns vor so vielen Wochen im Keller überrascht hatte – und brachte damit alles zum Lift.
Während ich in dem wackeligen alten Lastenaufzug hinaufzuckelte, starrte ich auf die Nachricht in dem Briefumschlag, der an der Abdeckhaube lehnte. Das Leuchtsignal über der Tür zeigte an, dass mir noch fünf Stockwerke blieben. Ich griff nach dem weichen, baumwollartigen Kuvert, und während meine Finger es aufrissen, konnte ich kaum fassen, was ich da gerade machte. Mir blieben höchstens noch ein, zwei Minuten, aber ich musste mir das einfach ansehen. Das Buch hatte mich doch schon vor Wochen ermahnt, nach Antworten zu suchen. Und das tat ich jetzt. Ich zog die makellose Karte heraus und las darauf diese Zeilen in Aurelias Handschrift:
Du hast mich also gefunden.
Aber ich bin nicht mehr die, die ich mal war.
Damals habe ich dich geliebt.
Jetzt solltest du mich lieber vergessen.
Die Zeilen schienen mir den Boden unter den Füßen wegzuziehen, und ich musste mich anlehnen. Ich begriff es nicht, und das nagte an mir. Aurelia und Mr Marlinson waren also mal ein Paar gewesen? Konnte das denn stimmen? Er war doch so viel älter als sie. Das ergab überhaupt keinen Sinn. Dieser Neil war ein guter Mensch und so verletzlich. Natürlich kannte ich nicht die ganze Geschichte, aber das musste ihm ja das Herz brechen. Jetzt wünschte ich mir, ich hätte die Nachricht nie gelesen. Kann denn jemand derart Böses tatsächlich lieben? Und wusste er, was sie wirklich war? Nur noch ein Stockwerk. Der Umschlag war nicht mehr zu retten, also faltete ich ihn zusammen und schob ihn mir in die Uniformtasche. Die Nachricht legte ich unter der Servierglocke auf das Foto. Dann öffneten sich die Lifttüren, und ich schob den Wagen hinaus.
Neil antwortete sofort auf mein Klopfen.
»Hallo, Haven, kommen Sie doch herein.« Er klang erstaunt, machte die Tür aber weit auf.
»Ihr Foto – und Champagner als kleines Dankeschön der Besitzerin. Offenbar haben Sie erfolgreich auf sich aufmerksam gemacht.« Ich versuchte zu lächeln, kam mir dabei aber falsch und hinterhältig vor.
»Das ist sehr nett, danke«, erwiderte er. Ich konnte es hinter seiner Stirn rattern sehen, er fragte sich wohl, was das zu bedeuten hatte.
»Ist es okay, wenn ich das hier abstelle?« Ich schob den Wagen zu Fernseher und Sofa hinüber. Neil hatte eines der eleganteren Zimmer, eine vornehme, riesige Suite mit einem dieser Erkerfenster, die ich so toll fand.
»Perfekt«, befand er, aber seine Stimme klang zögerlich.
»Viel Spaß damit!« Ich machte mich auf den Weg zur Tür.
»Danke«, sagte er, rührte sich aber nicht. Und dann kam: »Haven?«
Ich drehte mich um.
»Hat sie zufällig irgendwas gesagt?« In seinen Augen stand jetzt so viel Hoffnung. Er war viel zu gut für sie. Ich kannte ihn ja kaum, aber dessen war ich mir sicher.
»Sie weiß Ihre Großzügigkeit wirklich zu schätzen«, behauptete ich, aber es tat mir in der Seele weh. Ich wusste nicht, ob ich erwähnen sollte, dass unter der Abdeckhaube eine Nachricht lag. Früher oder später würde er sie lesen und sich dann wünschen, es nie getan zu haben. Jetzt wirkte er enttäuscht. Ich wollte nur ungern einfach verschwinden, konnte aber auch nichts tun, um ihm zu helfen. Also schickte ich mich zum Gehen an, er hielt mich aber wieder zurück: »Darf ich Sie noch etwas fragen?«
»Natürlich.«
»Ihr Name – ist nicht wirklich Aurelia Brown, oder?« Sein Blick flehte mich an, jetzt das Richtige zu sagen.
»Es tut mir leid«, erwiderte ich in meinem tröstlichsten Tonfall, »ich habe keine Ahnung. Ich wünschte, ich wüsste es. Es gibt so vieles, über das ich nicht im Bilde bin.« Mein Bedauern war echt, ich mochte diesen Mann.
»Ja, natürlich.« Er schüttelte den Kopf und riss sich jetzt zusammen. »Es tut mir leid, ich sollte Ihnen wirklich nicht all diese albernen Fragen stellen. Aber an dem Abend, als wir uns im Aufzug begegnet sind, da haben Sie doch ein Goldarmband getragen. Ich frage mich, woher das wohl stammte.«
»Das war ihres«, erklärte ich. Ich dachte einen Moment nach und fügte dann noch hinzu: »Und sie hat erwähnt, dass sie sehr daran hängt.«
»Danke. Dafür möchte ich Ihnen
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