Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
die Markise des Hotels in Sichtweite. »Wird das ab jetzt immer so laufen?«, fragte er. »Wir reden über irgendwas, dann erschlägst du mich plötzlich mit so einer unglaublichen neuen Information, wir diskutieren die Sache durch und kehren dann wieder zu unseren Alltagsthemen zurück?«
»Ja, so sieht’s wohl aus.«
»Wenigstens kommt bei uns keine Langeweile auf.«
Lance und ich gingen der Party aus dem Weg, die in der Lobby in vollem Gange war, als wir das Hotel erreichten. Es war noch früh, erst kurz nach sieben, aber ich musste mich unbedingt hinlegen. Zunächst rief ich aber Joan an, um herauszufinden, wie es ihr nach dem Besuch im Spa ergangen war. Der Stimme nach war sie wieder ganz die Alte, aber immer noch völlig begeistert von Aurelia und dem Lexington. Nach unserer Unterhaltung ging ich in mein Zimmer, machte das Licht aus, fiel ins Bett und schloss die Augen. Ich begann gerade einzudösen, der Schlaf übermannte meine schlaffen Glieder, als ein Brummen mich zusammenfahren ließ. Ich riss die Augen wieder auf.
»Du verpasst hier eine tolle Party!« Lucians Stimme erfüllte den Raum und ließ jedes einzelne Wort mit milchiger Präzision erklingen. Es hätte sich um ein Schlaflied handeln können, wenn es mich nicht so erschreckt hätte. Ich setzte mich im Bett auf und schaltete das Licht an. Hörte ich etwa Stimmen im Schlaf? Aber nein, das war der Kasten hinter dem Vorhang, Lucian meldete sich über die Gegensprechanlage. »Haaaaven«, gurrte er. »Ich weiß, dass du da bist. Ich habe dich vorhin reinkommen sehen.« Seine Stimme war so süß und verführerisch, dass ich mich wirklich am Riemen reißen musste. Ich atmete tief durch und ging zögernd ein paar Schritte auf den kleinen Kasten zu. »Haaaven …«, erklang es wieder. Ich drückte den Sprechen-Knopf.
»Lucian. Hi, ich bin hier. Tut mir leid, ich bin gerade erst reingekommen. Was ist denn?« Das war mein Versuch, locker-flockig zu klingen, der meine Anspannung aber sicher kaum übertönen konnte.
»Gut – bleib, wo du bist. Ich schau kurz bei dir vorbei.«
Meine Hand fuhr zu den Narben auf meiner Brust, die mit einem Mal heftig brannten. Die auf dem Rücken stachen auch. »Oh, ich wollte eigentlich gerade …«
»Du wolltest gar nichts. Rühr dich nicht vom Fleck.« Der Apparat knackte, und Lucian war nicht mehr da.
Wenn ich jetzt zu fliehen versuchte, würde das nur unnötig Aufmerksamkeit erregen, und er würde mich ja doch finden. Er blieb hartnäckig – denn so lauteten seine Anweisungen. Verzweifelt wandte ich mich an das Buch, fand aber keinen neuen Eintrag. Ich war ganz auf mich selbst gestellt. Viel früher als erwartet wurde am Türknauf gerüttelt, und dann klopfte Lucian dreimal beherzt an. Jeder Schlag hallte in meiner Brust wider. Hastig ließ ich den Blick durch den Raum wandern, stopfte das Buch zurück in die Nachttischschublade und zog den Stuhl vom Schrank weg. Dann ging ich zur Zimmertür, um Lucian reinzulassen, und bemerkte, wie der Knauf erzitterte. Der Anblick erfüllte mich mit Schrecken, trotzdem atmete ich einmal tief durch und machte auf.
»Hi, ich wollte gerade …«
»Ich möchte nur kurz mit dir reden, wenn es dir nichts ausmacht.«
Ungefragt marschierte er ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Seine Stimme klang nicht so aalglatt wie sonst, ein leichtes Beben lag darin. Die frühen Anzeichen eines Sturms, der die Oberfläche eines Sees in Aufruhr versetzt. Er schlenderte lässig durchs Zimmer und lehnte sich an den Schreibtisch, so als wolle er sich darauf setzen.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich, obwohl ich bezweifelte, dass ich selbst wie die Ruhe in Person wirkte.
»Ja, ich wollte nur sehen, wie es dir nach der, äh, ganzen Aufregung heute Morgen geht.«
»Aufregung, klar.« Das schien hier der bevorzugte Euphemismus für Tod und allgemeinen Schrecken zu sein.
»So wie ich das verstanden habe, kanntest du den Mann?«
»Na ja, er ist in die Galerie gekommen und hat ein Foto gekauft, das ist eigentlich schon alles. Ich habe es ihm hochgebracht, kurz bevor …« Dabei beließ ich es, mehr brauchte ich nicht zu sagen.
Lucian trat näher heran, baute sich direkt vor mir auf und starrte mir in die Augen, versank darin, als suche er dort etwas. Aber ich hatte dichtgemacht – er konnte ihre Tiefen nicht mehr ausloten, mich nicht mehr ganz schwindelig machen. Stattdessen hielt ich seinem Blick stand und bedeutete ihm klar, dass ich ihn auf Distanz halten wollte, auch wenn ich mir
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