Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
signalisierten wir mit Blicken »Los!«, und dann kroch ich langsam durch die Öffnung, die die Bohle ächzend, nur widerwillig freigab. Lance folgte mir.
Über uns waren Schritte, der Lärm und das Gläserklirren einer Kneipe zu hören.
Lance zeigte zur Treppe. »Ist das das Lokal? Das, in dem wir gerade waren?«
»Genau. Die werden es noch bereuen, uns weggeschickt zu haben. Komm, wir decken uns mit Vorräten ein.«
Die Regale waren prall gefüllt, und da ich sie beim letzten Mal nicht komplett untersucht hatte, wurde ich jetzt angenehm überrascht – hier gab es viel mehr für uns als erwartet. Die meisten Kalorien waren hier zwar in alkoholischer Form gelagert, und auch der Rest war vom ernährungswissenschaftlichen Standpunkt aus nicht sehr wertvoll, aber Lance und ich gingen trotzdem alles durch und statteten uns mit Chips, Salsa und Pitabrot aus. Das war kein schicker Laden, und es gab beim Essen auch keine große Auswahl; es handelte sich vor allem um ein paar fettige Klassiker für die Mikrowelle. Die Gefriertruhe war randvoll mit Mozzarella-Sticks, Zwiebelringen und Fritten, wir sahen aber nichts, womit wir das alles aufwärmen konnten. Im Kühlschrank entdeckten wir dann doch noch ein paar kleine Schätze und griffen zu Hummus, Cheddarkäse und Diätcola. Das musste reichen. Dann diskutierten wir lange hin und her, ob wie für die Sachen, die wir mitnahmen, Geld dalassen sollten. Einerseits waren wir immer noch sauer, weil man uns oben abgewiesen hatte, andererseits konnten wir wirklich kein schlechtes Karma gebrauchen. Also leistete Lance einen kleinen Beitrag und schob zehn Dollar unter eine Chipstüte – einfach nur, um nett zu sein.
Am liebsten wären wir mit unserer Beute ja in mein Zimmer zurückgekehrt, der Hunger war aber zu groß. Also beschlossen wir, uns vor dem Aufstieg zu stärken und arrangierten am Rande des dunklen Tunnels ein Picknick, dort, wohin noch immer etwas Licht aus dem breiten Gang fiel. Ein paar Minuten lang stopften wir die Sachen schweigend in uns hinein. Als das Hungergefühl nachließ, aßen wir aber langsamer weiter und konnten uns dabei wieder unterhalten. Nachdem ich jetzt endlich jemandem davon erzählt hatte, was hier vor sich ging, konnte ich gar nicht mehr aufhören. Es war so befreiend, das alles mit jemandem zu teilen. Ich fühlte mich nicht mehr so allein und hatte weniger Angst. Also berichtete ich Lance von dem nächsten geheimen Ort, den er sehen musste, vom Tunnel zu Aurelias Büro. Ich schilderte auch die Einführung, die ich von meinem Ausguck aus hoch oben im Tresor miterlebt hatte. Nachdem ich eine halbe Ewigkeit geredet hatte, unterbrach er mich mitten im Satz: »Bevor du weitermachst, bin ich neugierig. Du hast mich vorhin gefragt, warum ich dir glaube. Warum vertraust du mir eigentlich?«
Ich dachte an den heutigen Morgen, an Neils Tod und daran, wie unerreichbar Dante war. Aber ich hatte mich Lance gegenüber nicht nur aus reiner Verzweiflung geöffnet, da war noch etwas anderes. Ich versuchte, es in Worte zu fassen: »Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir uns ähnlich sind.«
»Du hast gerade meinen Grund abgekupfert. Was Besseres fällt dir nicht ein?«
»Ich kann es schlecht beschreiben, das ist ganz intuitiv. Und auf mein Bauchgefühl sollte ich besser hören, sonst gerate ich doch nur in Schwierigkeiten.«
Für einen Moment sah ich Lucian vor mir.
»In deinen Augen bin ich für einen Doppelagenten einfach nicht cool genug, oder?«
»Nicht unbe-«
»Du hast ja recht, in dem Job wäre ich lausig.«
»Coolness wird überbewertet – auch wenn man manchmal etwas länger braucht, um das zu verstehen.« Wir mussten beide lachen.
Als wir fertig gegessen hatten, packten wir die Reste sowie die leeren Verpackungen und Chipstüten in meinen Rucksack, um sie in mein Zimmer mit hochzunehmen – wir wollten nun wirklich keine Ratten oder andere unliebsame Kreaturen anlocken, die die Tunnel noch unheimlicher machten. Ich hatte versprochen, Lance noch eine letzte Sache zu zeigen, bevor wir wieder hochstiegen, und dahin machten wir uns jetzt auf den Weg.
Zusammen zogen wir die samtene Abdeckung der Fotos beiseite.
»Whoa!«, keuchte er und ließ die Bilder auf sich wirken. Mehr brachte er nicht heraus. Wir gingen die Porträts durch, um seins zu suchen. Als wir auf Lucians stießen, fiel mir auf, dass es nicht mehr ganz so zerfallen und verwest wirkte wie beim letzten Mal. Seine Augen waren wieder graublau, und man konnte erkennen, dass es sich
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