Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
schnellen Fingern wieder und las diese Zeile ein ums andere Mal. Ich konnte es nicht fassen, es war mir einfach unbegreiflich, und ich starrte auf die Worte, die Rundungen der Buchstaben, bis das überhaupt nicht mehr aussah wie eine bekannte Sprache. In mir drohte ein Schwindelgefühl aufzusteigen, das Herz pochte in meiner Brust, mein Verstand raste und überschlug, wie viel Zeit mir bis zu diesem Datum noch blieb: drei Monate. Nur noch drei Monate. Nein!
Ich hatte die Nase längst voll von all den Andeutungen darüber, dass mir irgendetwas zustoßen würde –, und jetzt das noch – mir aber niemand sagte, was ich dagegen unternehmen konnte. Ich war es leid, auf meine angebliche Kraft zu vertrauen und auf diese Befehle zu hören, als würde das irgendwie dazu beitragen, dass ich jemand Besonderes wurde, der auf seinem Weg alles meistern konnte. Warum passierte das ausgerechnet mir? Und wann würde dieses furchtbare Buch mir endlich ein paar Antworten liefern? Als ich weiterlas, hatte es meinen Ärger und meine Einwände wieder einmal vorhergesehen, was mich nur noch wütender und streitlustiger machte.
Nun fragst du dich mit Sicherheit mehr als je zuvor, wer ich eigentlich bin und warum ich dir das alles erzähle, wenn ich dir dann doch keine Hilfe bin. Ich werde mich nicht ewig verstecken, aber im Moment kann ich dir nur so viel sagen: Ich bin nicht körperlich in deiner Nähe anwesend. Ich bin niemand, dem du auf dem Flur begegnest oder mit dem du Zeit verbringst. Ich bin nur im Geiste und durch diese Worte anwesend. Aber du und ich werden uns eines Tages gegenüberstehen; in gewisser Weise sind wir uns schon oft begegnet. Ich biete dir meinen Rat, um gegen diese Dämonen anzugehen, auch wenn ich dabei nicht an deiner Seite kämpfen kann. Aber schöpfe Mut, denn ich kenne dich besser als jeder andere. Und ich weiß, dass du die Fähigkeiten erwirbst, die du brauchst.
In gewisser Weise sind wir uns schon oft begegnet?, dachte ich.
Halt dich also in nächster Zeit zurück, pass dich an und gib ihnen keinen Grund, an dir zu zweifeln. Viele Leben stehen auf dem Spiel und setzen ihre Hoffnung in dich. Sei stark, Himmelsbotin.
Das war es, damit endete diese furchtbare, grässliche Nachricht. Unwillkürlich schleuderte ich das Buch aus dem Bett, und es fiel polternd zu Boden. Dieses Datum ließ mich jedoch nicht mehr los, es tanzte in meinem Kopf herum und verhöhnte mich. Die Narbe über meinem Herzen verwandelte sich in ein flammendes Biest und die beiden auf meinem Rücken, die doch normalerweise stillhielten, brannten wie Zunder.
Ich rollte mich zusammen, machte die Augen zu, schlang die Arme um den Kopf und versuchte, das alles verschwinden zu lassen. Ich presste die Lider so fest zusammen, dass ich Sterne sah. Mein Atem hallte im Kopf wider und prallte von meinem Körper ab. Wenn ich nicht so lange die Augen zugekniffen hätte, während die Minuten und Stunden verstrichen, wäre ich womöglich nie eingeschlafen, schließlich spürte ich aber, wie ich wegdämmerte. Mein Körper hatte keine Wahl, denn meine schmerzenden Knochen und Muskeln, selbst mein rasender Verstand hatten sich noch nie so sehr nach Ruhe gesehnt.
Aber mir war kein Frieden vergönnt: Sobald ich eingedöst war, begann ich zu träumen. Mich suchte wieder derselbe Albtraum heim, die Syndikat-Mitglieder marschierten den Flur entlang und zerfielen auf dem Weg nach und nach. Aber dieses Mal wurden sie von Lucian angeführt, der sich zwischen dem welkenden Porträt in dem Rahmen und der zauberhaften Kreatur, in die ich mich einst verliebt hatte, hin und her verwandelte.
Es hätte mich irgendwie getröstet, wenn am nächsten Morgen alle Medien über den Tod von Neil Marlinson berichtet hätten und darüber, dass niemand die offizielle Version mit dem Herzinfarkt glaubte. Aber der arme Mann wurde kaum am Rande erwähnt. Alle waren viel zu sehr damit beschäftigt, das Capone und die Feier der Drei-Sterne-Auszeichnung zu rühmen. Nur auf einem einzigen Blog wurde ausführlicher über Neil als über die Party berichtet – den Namen des Autors erkannte ich von unserer gestrigen Lieferung wieder –, also druckte ich diesen Artikel zusammen mit den anderen aus und schob ihn als dritten von oben in den Stapel für Aurelia. Ich fand, solche Sticheleien waren erlaubt, um meinen neu erwachten Tatendrang zu befriedigen, während es gleichzeitig so aussah, als würde ich nur meine Arbeit machen.
Neils Tod schien auch die Hotelgäste nicht zu beunruhigen,
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