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Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)

Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)

Titel: Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aimee Agresti
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weitestgehend ausgearbeitet sind und wir unter einem gewissen Zeitdruck stehen, möchten wir gerne, dass ihr zwei es zu Ende malt.«
    Unsere beiden Köpfe fuhren zu ihm herum.
    »Ich weiß, dass das nach ziemlich viel weißer Leinwand aussieht, aber wenn ihr es euch mal genauer anseht, werdet ihr feststellen, dass ihr eigentlich nur den Hintergrund ausfüllen müsst.« Er deutete auf die Seiten und die Räume zwischen den Figuren. Es stimmte schon: Die Personen und Schlüsselszenen waren fertig, aber mit der Landschaft im Hintergrund – die aussah, als würde man dafür vor allem verschiedene Schwarz- und Grautöne sowie Rot und Orange für einige Verzierungen brauchen – hatte jemand nur angefangen und weite Flächen weiß gelassen, die noch ausgemalt werden mussten. »Das Material dafür findet ihr dort im Schrank.« Er zeigte ihn uns. »Das wird sicher einfacher, als ihr befürchtet. Ich kann euch sogar versprechen, dass es ziemlich schwer zu vermasseln ist.« Er lächelte uns aufmunternd zu. »Dann lasse ich euch damit mal allein, aber falls ihr noch irgendwelche Fragen habt …« Er verstummte. Dann fing sein Blick ein, zwei Sekunden lang den meinen ein, bis meine Wangen brannten, und schließlich stolzierte er mit den Händen hinter dem Rücken und widerhallenden Schritten durch die Galerie und zur Tür hinaus.
    »Na, das kann ja heiter werden.« Lance betrachtete das Wandbild, nahm jedes Detail in sich auf.
    »Wie machst du dich so im Kunstunterricht?«, erkundigte ich mich.
    »Geschichte und Theorie liegen mir da mehr als die Praxis.«
    »Tja, wenn wir die Sache versauen, nennen wir das Ganze einfach abstrakte Kunst.«
    Dann sagte lange niemand ein Wort. Stattdessen wanderten unsere Blicke über das Bild, das abgesehen von einem Rand oben und unten fast die gesamte Wand einnahm. Es musste etwa drei Meter hoch und fast acht Meter breit sein. Jeder von den drei deutlich abgetrennten Bereichen war unten mit einer Schriftrolle versehen, auf der in altmodischen Lettern ein Wort stand. Im ersten Bereich mit dem Begriff »Purgatorio« sah man abgezehrte Männer und Frauen in Lumpen, die wie die Überreste mittelalterlicher Gewänder aussahen. Diese Menschen hatte man in Ketten geschlagen. Einige waren auf totem, braunem Gras ausgestreckt, so als wären sie dem Tode nahe, andere waren auf Hüfthöhe an dürre Bäume gefesselt und krümmten und wanden sich noch. Wieder andere krabbelten auf allen vieren über glühende Felsen. Es gab keinen nennenswerten Himmel. Die drei Abschnitte teilten sich einen gemeinsamen Hintergrund, der aus schwarzen und grauen Strudeln bestand – und natürlich den weißen Flecken, die wir weitestgehend mit noch mehr Schwarz und Grau ausfüllen sollten.
    Die Szene rechts außen hatte man mit dem Wort »Paradiso« versehen. Die Figuren hier waren kräftig und robust, sie stolzierten weitestgehend leicht bekleidet umher, feierten ausgelassen und zeigten sich in allen möglichen anstößigen Posen. Die Kulisse war hier jedoch kein idyllischer Garten Eden – stattdessen bestand sie komplett aus schwarzem Fels und dunklem Himmel (oder würde zumindest daraus bestehen, sobald wir unsere Aufgabe erfüllt hatten). Auf einem Gewässer von der Farbe getrockneten Blutes trieben leblose Körper. Fast ganz oben war eine Silhouette des modernen Chicago zu sehen – die Stadt stand in Flammen.
    »Fegefeuer, Paradies«, las ich.
    »Unter ›Paradiso‹ stelle ich mir eigentlich was anderes vor«, bemerkte Lance.
    »Ja, das ist vermutlich der Witz an der Sache.« Ich zuckte mit den Achseln. »Aber was geht denn hier ab?« Ich zeigte auf den mittleren Bereich. Auf der entsprechenden Schriftrolle stand »Metamorfosi«, und es waren dort große, starke, mächtige Menschen in schwarzen Umhängen zu sehen, deren Körper ein rotes und orangefarbenes Leuchten umgab. Einige von ihnen schwebten etwa einen halben Meter über dem Boden und wurden von Figuren verehrt, die sich vor ihnen verneigten. In der Mitte streckte einer von diesen Leuten die Hand zu einer in einen Umhang gehüllten, in der Luft schwebenden Figur aus, so dass sich ihre Zeigefinger berührten. In dem zum Teil schwarz angemalten Himmel verharrte eine Schattenfigur mit ausgebreiteten Obsidianflügeln.
    »Eine gute Frage«, war alles, was Lance dazu sagte.
    »Metamorphose? Was soll das denn heißen?«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich das überhaupt wissen will.«
    Endlich wandten wir den Blick ab und machten uns wortlos daran, Farbe, Pinsel,

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