Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
Strähnen umrahmten an genau der richtigen Stelle ihre zarten Gesichtszüge. Ihr Make-up war angemessen düster: Sie hatte kajalumrandete Augen, die mit allen möglichen Grau- und Schwarztönen zu Smokey Eyes verwischt waren. Ihr Look war sinnlich und glühend, wie aus einer Parfumwerbung. Endlich fand ich meine Stimme wieder: »Ihre Frisur finde ich toll.«
»Danke. Deine wird dir gleich auch gefallen. Komm rein.«
Sie winkte mich heran und musterte mich mit einem leeren Blick, den man wohl als höfliche Kritik auffassen konnte. Ich folgte ihr und sah mich rasch im Raum um: kein Lucian. Keine Ahnung, ob ich darüber froh sein sollte oder nicht – vielleicht war ich sogar erleichtert. Denn sonst hätte ich mir die beiden ja doch nur zusammen vorgestellt – und dieses Bild wollte ich mir lieber nicht vor Augen führen.
Nicht dass ich diesen Gedanken wirklich verdrängen konnte. Aber jetzt bewunderte ich erst einmal das Penthouse in seiner vollen Pracht. Durch eine Fensterfront sah man hinab auf die glänzenden Lichter Chicagos, und in der Tiefe pulsierte die Michigan Avenue mit den winzigen Autos. Gut, dass ich nicht auch so ein Zimmer hatte, sonst würde ich den ganzen Tag nur verträumen. Aurelia führte mich zu einem Frisiertisch mit Spiegeln, vor dem ein hübscher kleiner Hocker stand, und auf dem in sauberen Reihen jede Menge Kosmetika, Haarprodukte und Utensilien angeordnet waren. Ich blieb stehen und wartete, während sie in ihrem Schrank herumstöberte, eine Kleiderhülle herausholte und an einen goldenen Garderobenständer hängte. Sie öffnete den Reißverschluss, zeigte mir den Inhalt aber nicht.
»Also, dann mal los, setz dich«, forderte sie mich auf und deutete auf den Hocker vor dem Tischchen. Ich tat wie geheißen.
»Das ist ja ein herrliches Zimmer«, schwärmte ich und versuchte, unauffällig einen Blick durch die Tür neben dem begehbaren Schrank zu werfen. Dort war die Ecke eines mit Satinwäsche in Lavendelblau und Salbeigrün bezogenen Bettes zu sehen. Es waren dieselben Farben wie in meinem Zimmer, aber hier war natürlich alles viel üppiger und luxuriöser. Da musste man ja was Schönes träumen. Und die Wirklichkeit war sicher auch angenehm.
Aurelia ignorierte meine Versuche, Smalltalk zu betreiben. »Heute Abend übernimmst du die Rolle meiner rechten Hand. Du wirst dich an meiner Seite halten, tun, was ich dir sage, das Hotel repräsentieren und wichtige Persönlichkeiten der Stadt treffen.« Sie verstummte. Es verstrich genug Zeit, um mir klarzumachen, dass dies der Moment für eine Bemerkung meinerseits war, bevor sie fortfuhr.
»Vielen Dank. Das klingt fantastisch!« Ich konnte nicht verhehlen, dass ich völlig perplex war.
»Du klingst überrascht.«
»Oh nein, überhaupt nicht.« Beim Versuch, mich selbstsicher zu geben, klang ich jetzt leider überheblich und egoistisch, also schaltete ich schnell um. »Ich bin begeistert … wirklich … Was soll ich tun?«
»Zunächst einmal sollte dein Aussehen auch deiner Aufgabe entsprechen.« Mit den Händen auf meinen Schultern stand sie hinter mir und betrachtete mein Spiegelbild. »Wenn ich dich heute Abend als meinen Schützling präsentiere, dann sollte dein Auftreten auch dazu passen.« Mit einer raschen Bewegung löste sie meinen Dutt, ließ mir die lange Mähne auf die Schultern fallen und zerzauste sie mit den Fingern. Schon nach dieser einen Geste sah mein Haar bereits voluminöser aus als nach allem, was ich je damit anzustellen versucht hatte. Aurelia musterte mich mit hartem Blick und zusammengekniffenen Lippen, als ginge sie in Gedanken eine Million verschiedener Möglichkeiten durch, diese leere Leinwand zu füllen. Schließlich verkündete sie: »Im Schrank hängt an der Tür ein Morgenmantel. Zieh den an.«
Ich nickte und verschwand im begehbaren Kleiderschrank. Außerhalb eines Bekleidungsgeschäftes hatte ich noch nie so viele Klamotten auf einmal gesehen. In diesem Schrank befanden sich in den Regalen und an den Stangen makellose und perfekt gefaltete Kleidungsstücke, alle in Schwarz oder Dunkelblau, einige auch mit von einem dieser beiden Farbtöne dominierten Mustern. Hier waren vor allem Seide und Satin, die beiden luxuriösesten, verführerischsten Stoffe, zu finden. Ich fuhr mit den Fingern über einige der Kleider, die so unschuldig da hingen. Sie warteten nur darauf, angelegt zu werden, um sich augenblicklich in etwas zu verwandeln, das nach Aufmerksamkeit heischte und sie auch von allen Seiten bekam. In
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