Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)

Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)

Titel: Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aimee Agresti
Vom Netzwerk:
Er griff noch mal zu. »Also, was machen wir jetzt damit?«

16
    Das warst du?
    L ance und ich teilten die Namen auf der Liste zunächst untereinander auf, aber da fast alles nahe beieinander lag, machten wir uns schließlich gemeinsam auf den Weg. Mal aus dem Hotel rauszukommen war wirklich eine schöne Abwechslung. Seit dem Tag, als die schlimme Sache in der Drogerie passiert war, hatten wir das Lexington nicht mehr verlassen. Aber dieser Ausflug machte all die verlorene Zeit wieder wett: Unser Spaziergang führte uns erst am Chicago River vorbei, dessen Wasser immer noch still und fast gefroren dalagen und auf dem die Boote für die Architekturrundfahrt noch einen weiteren Monat leer vertäut daliegen würden. Dann erreichten wir die Michigan Avenue, die Magnificent Mile , auf der dick vermummte Einkäufer ungerührt vom scharfen Wind, der uns durch Mark und Bein ging, in die teuren Boutiquen schlüpften, und schließlich die Büros im John Hancock Center und im Sears Tower.
    Die Empfänger unserer Lieferung freuten sich durchweg über unseren Besuch. Da wir jung und harmlos wirkten und in unseren Uniformen so schick herausgeputzt waren, gelang es uns jedes Mal, bis direkt in die Büros vorzudringen. Wir mussten unser kleines Präsent nicht beim Büroboten abgeben, der mürrisch hinter einem Schalter saß und nicht einmal eines Blickes würdigte, was man ihm da reichte. Vor unserem Aufbruch hatte Aurelia uns noch mit strengem Tonfall und geschürzten Lippen angewiesen, die Geschenke niemand anderem zu überlassen als der Person, deren Name auf dem Umschlag stand: »Ich will, dass ihr Eindruck auf sie macht, wenn ihr in Uniform und mit dem Geschenk zur Tür hereinkommt. Ihr sollt sie einen Moment lang aus ihrem Alltagstrott reißen, sie nachdrücklich an den schönen Abend erinnern, den sie hier verlebt haben, und in ihnen den Wunsch wecken, möglichst bald wieder herzukommen.« Nachdem wir es bis in sein Büro geschafft hatten, sollten wir dies dem Empfänger mit nicht mehr als einem Lächeln und der vorgegebenen Grußformel »Guten Tag, herzliche Grüße vom Lexington Hotel« vermitteln.
    »Sie sollen nach mehr lechzen«, hatte Aurelia uns gedrängt. So lautete offensichtlich ihr allgemeines Mantra, und ich musste zugeben, dass es kein schlechtes Motto war. Das half vielleicht auch mir weiter, wenn ich je herausfand, wie man es umsetzte.
    Also marschierten wir kreuz und quer durch die Stadt. Inzwischen taten mir die Füße in den Stöckelschuhen so weh, dass die Strumpfhose bestimmt längst durchgescheuert war. Ich sah ständig nach unten und war jedes Mal erstaunt, dass bei mir alles noch dran war. Aber in gewisser Weise hatte Aurelia ja recht – beim Besuch in diesen Büros, in denen sich unglückliche Menschen über hässliche Schreibtische beugten, wurde mir erst klar, wie verwöhnt ich eigentlich war. Ich arbeitete in diesem wunderschönen Palast, in einer Fantasiewelt voll absolut perfekter Menschen, die es bis ganz nach oben geschafft hatten und ihre Arbeit mit so leichter Hand erledigten, dass es gar nicht nach Arbeit – oder wahrem Leben – aussah. Ich fragte mich, ob Lance wohl das Gleiche dachte.
    Wir sprachen kaum miteinander, hielten es nicht für nötig, in der bitterkalten Luft den Atem für Smalltalk zu vergeuden. Aber das brauchten wir auch gar nicht. Ich empfand unser Schweigen nie als peinlich, so wie es mir bei anderen Leuten oft ging. Vielleicht weil wir beide so linkisch waren, dass sich die doppelte Unbeholfenheit gegenseitig aufhob. Es fühlte sich seltsam tröstlich an.
    Unser nächster Halt führte uns zur Schülerzeitung der Kunstakademie im Art Institute. Die Herausgeber hatten die Galerie in ihrer Internetausgabe ausführlich besprochen und planten laut Webseite, in der nächsten Ausgabe mehrere Seiten dazu zu bringen. Lance war mit den Pralinen dran, ich begleitete ihn aber zum Empfangstresen, wo wir unsere Besucherausweise abholten. Auf dem Weg zum Aufzug, der uns zu den Büros bringen würde, kamen wir an der Haupttreppe vorbei, und plötzlich nagte die Erinnerung an unseren letzten Besuch hier im Museum an mir, und die Versuchung wurde zu groß.
    »Hey, würde es dir vielleicht was ausmachen – ich meine, du schaffst das doch sicher auch allein, oder? Könnten wir uns nachher einfach am Ausgang treffen?«
    »Äh, klar.« Er sah verwirrt aus. Jetzt kam der Lift, Lance zögerte eine Sekunde und trat dann ohne mich hinein.
    »Ich will mir nur ganz schnell was anschauen.«
    Ich

Weitere Kostenlose Bücher