Das dunkelste Blau
Kinder?«
»Nein.« Meine Ellenbogen und Knie fingen an zu jucken, die Schuppenflechte verlangte neue Aufmerksamkeit.
»Noch nicht.«
»Nein, noch nicht.«
»An dem Tag, als ich hörte, daß meine Frau schwanger war«, sagte Lucien langsam, »wollte ich ihr sagen, daß ich der Meinung war, wir sollten uns trennen. Wir waren zwei Jahre lang verheiratet gewesen, und es war nicht gutgegangen. Wenigstens nicht für mich. Wir setzten uns hin, um uns gegenseitig unsereNeuigkeiten, unsere Gedanken zu erzählen. Sie war zuerst dran. Danach konnte ich ihr nicht mehr sagen, was ich vorgehabt hatte.«
»Also seid ihr zusammengeblieben.«
»Ja, bis Christine ein Jahr alt war. Es war aber die Hölle.«
Ich wußte nicht, wie lange es in mir gebrodelt hatte, aber plötzlich merkte ich, daß´mir übel war, mein Magen schien in Beton zu schwimmen. Ich schluckte und tat einen tiefen Atemzug.
»Als ich dich am Telefon mit deinem Mann habe sprechen hören, hat es mich an die Telefonate erinnert, die ich mit meiner Frau hatte.«
»Aber ich hab fast nichts zu ihm gesagt!«
»Es war dein Ton.«
»Oh.« Verlegen starrte ich zum Fenster hinaus. »Ich bin nicht sicher, ob mein Mann derjenige ist, mit dem ich Kinder haben will«, sagte ich darauf. »Ich war mir nie sicher.« Es laut auszusprechen, ausgerechnet zu Lucien, war wie eine Fensterscheibe zu zerbrechen. Schon der Ton der Worte war schockierend.
»Es ist besser, wenn du das jetzt schon weißt«, sagte Lucien, »so daß du, wenn du etwas dagegen tun kannst, keine Kinder in eine Welt ohne Liebe bringst.«
Ich schluckte und nickte. Wir saßen da und hörten dem Regen zu; ich konzentrierte mich darauf, meinen Magen zu beruhigen.
»Willst du da etwas stehlen?« fragte er plötzlich mit einer Kopfbewegung in Richtung des Hofes.
Ich dachte darüber nach. »Nein. Ich will nur etwas finden. Etwas, was mir gehört.«
»Was? Hast du gestern etwas vergessen?«
»Ja. Die Geschichte meiner Familie.« Ich setzte mich aufrecht hin. »Willst du mir noch helfen?« fragte ich scharf.
»Natürlich. Ich habe gesagt, daß ich dir helfen werde, also helfe ich dir.«
Lucien begegnete meinen Augen mit einem stetigen Blick.
Eigentlich ist er nicht so übel, dachte ich.
Es schien, als wollte Petit Jean nicht anhalten. Isabelle stellte sich in die Mitte des Weges und zwang ihn, das Pferd zu zügeln. Sie griff nach oben und erwischte das Halfter. Das Pferd drückte seine Nüstern an ihre Schulter und schnaubte.
Weder Petit Jean noch Gaspard sahen ihr in die Augen, obwohl Gaspard seinen schwarzen Hut abnahm und ihr zunickte. Petit Jean saß angespannt da, blickte in die Ferne und wartete ungeduldig darauf, losgelassen zu werden.
– Wohin wollt ihr? fragte sie.
– Zum Hof zurück. Petit Jean schluckte.
– Warum? Habt ihr Marie gefunden? Ist sie in Sicherheit?
Er antwortete nicht. Gaspard räusperte sich und wandte ihr weiterhin sein blindes Auge zu.
– Es tut mir leid, Isabelle, murmelte er. Weißt du, ich würde damit nichts zu tun haben wollen, wenn es nicht wegen Pascale wäre. Wenn sie nicht das Kleid gemacht hätte, dann würde ich jetzt nicht mittun müssen. Aber – er zuckte die Achseln und setzte seinen Hut wieder auf. – Es tut mir leid.
Petit Jean zischte durch die Zähne und zerrte heftig an den Zügeln. Isabelle glitt das Halfter aus der Hand.
– Mittun bei was? rief sie, als Petit Jean dem Pferd die Sporen gab. Bei was mittun?
Als sie davongaloppierten, fiel Gaspards Hut herab und rollte in eine Pfütze. Isabelle sah ihnen nach, wie sie den Pfad hinunter verschwanden, bückte sich dann und hob den Hut auf, den sie von Schlamm und Wasser freischüttelte. Sie hielt ihn locker zwischen den Händen, als sie den Pfad nach Hause entlangging.
Es regnete stärker. Wir stellten uns im devant-huis unter, meine Taschenlampe erleuchtete das Vorhängeschloß an der Tür. Lucien zog kurz daran. »Das wurde nur drangehängt, um les drogués fernzuhalten«, verkündete er.
»Es gibt Junkies in Moutier?«
»Natürlich. Überall in der Schweiz gibt es Drogenabhängige. Du kennst dieses Land nicht sehr gut, oder?«
»Offensichtlich nicht«, murmelte ich. »Himmel. Das kommt davon, wenn man sich auf den äußeren Schein verläßt.«
»Wie seid ihr gestern hineingekommen?«
»Jacob wußte, wo der Schlüssel versteckt ist.« Ich sah mich um. »Ich habe nicht aufgepaßt, wo. Aber ich glaube nicht, daß er schwer zu finden ist.«
Mit der Taschenlampe suchten wir alle
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