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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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das eigentlich sein sollte. Es macht ihn – seltsam. Ungemütlich.«
    Er hatte recht. »Er ist zu nah bei der Tür«, sagte ich.
    »Viel zu nah. Man stößt fast daran, wenn man hereinkommt. Das ist sehr uneffizient – jedesmal, wenn man die Tür aufmacht, geht die ganze Wärme hinaus. Und der Luftzug von der Tür her läßt das Feuer schneller herunterbrennen, und es ist schwer zu regeln. Vielleicht sogar gefährlich. Man würde ihn da drüben an der anderen Wand erwarten.« Er zeigte hin. »Es ist seltsam, daß die Leute hier Hunderte von Jahren gewohnt haben und es die ganze Zeit über bei dieser Aufteilung belassen haben.«
    Rick, dachte ich plötzlich. Rick könnte das erklären. Das ist sein Gebiet, die Wohnbereiche.
    »Was willst du jetzt machen?« Lucien klang etwas perplex. Was in meiner Vorstellung klar und eindeutig erschienen war,wirkte jetzt in der Realität ziemlich absurd, hier im Dunkeln und Nassen.
    Ich nahm ihm die Taschenlampe ab und fing an, den Kamin methodisch abzusuchen, die vier Pfeiler an den Ecken des Herdes sowie die vier Bögen darüber, die den Kamin hielten.
    Lucien versuchte es noch einmal. »Was willst du finden?«
    Ich zuckte die Achseln. »Etwas – Altes«, erwiderte ich, während ich auf den Stein des Herdes stieg, um in den dunklen Kaminschacht hochzuschauen. Ich sah nur Überbleibsel von Vogelnestern auf Simsen, die aus den überstehenden Steinen entstanden waren. »Vielleicht etwas – Blaues.«
    »Etwas Blaues?«
    »Ja.« Ich stieg wieder herunter. »Also, Lucien, du kennst dich doch mit dem Bauen aus. Wenn du etwas in einem Kamin verstecken würdest, wo würdest du es verstecken?«
    »Etwas Blaues?«
    Ich antwortete nicht; statt dessen sah ich ihn nur an. Er sah zum Kamin. »Na ja«, sagte er, »die meisten Teile eines Kamins würden zu heiß werden und die Sachen würden verbrennen. Vielleicht weiter oben im Kamin. Oder –« Er kniete sich hin und legte die Hand auf den Stein, der den Herd bildete. Er rieb mit der Hand darüber und nickte. »Granit. Ich weiß nicht, woher sie diesen Stein hatten; jedenfalls kommt er nicht von hier.«
    »Granit«, wiederholte ich. »Wie in den Cevennen.«
    »Wo?«
    »Das ist eine Gegend in Frankreich, im Süden. Aber warum Granit?«
    »Nun ja, der ist härter als Kalkstein. Und er leitet die Hitze gleichmäßiger. Aber dieser Block hier ist sehr dick, also dürfte die Unterseite nicht so heiß werden. Man könnte darunter etwas verstecken, nehme ich an.«
    »Ja.« Ich nickte und rieb mir die Beule an der Stirn. Es schien einleuchtend. »Heben wir also den Granit hoch.«
    »Der ist viel zu schwer! Wir würden mindestens vier Männer brauchen, um ihn hochzuheben.«
    »Vier Männer«, wiederholte ich. Rick, Jean-Paul, Jacob und Lucien. Und eine Frau. Ich sah mich um. »Hast du einen . . . einen –« Das französische Wort fiel mir nicht ein, also holte ich einen Stift und Papier aus meiner Tasche und zeichnete einen primitiven Flaschenzug.
    »Ah, un palan!« rief er. »Ja, ich habe einen. In meinem Laster. Aber trotzdem, wir bräuchten immer noch ein paar mehr Männer, um daran zu ziehen.«
    Ich dachte kurz nach. »Wie wär’s, wenn wir es mit deinem Laster versuchen?« fragte ich. »Wir könnten den palan hier anbringen, ihn dann mit dem Laster verbinden und den benutzen, um den Stein hochzuheben.«
    Er sah überrascht aus, als hätte er seinen Laster nie für noblere Zwecke als für die Fortbewegung in Betracht gezogen. Eine Zeitlang war er still und sah sich alles genau an, während er es mit den Augen ausmaß. Ich lauschte auf den Regen draußen.
    »Ja«, sagte er schließlich. »Vielleicht können wir es tun.«
    »Dann werden wir es tun.«
    Als sie beim Hof ankam, versuchte Isabelle leise die Haustür zu öffnen. Sie war von innen verriegelt. Sie hörte Etienne und Gaspard drinnen angestrengt ächzen, dann aufhören und streiten. Sie rief nicht. Statt dessen ging sie in den Stall, wo Petit Jean das Pferd striegelte. Er reichte kaum bis an die Schulter des Pferdes, aber trotzdem ging er voller Selbstvertrauen mit dem Tier um. Er warf Isabelle einen Blick zu und striegelte dann weiter. Sie sah, wie er wieder schluckte.
    Wie der Mann auf der Straße, als wir die Cevennen verließen, dachte sie und erinnerte sich an den Mann mit dem großen Adamsapfel, die Fackeln und Maries mutige Worte.
    – Papa hat uns gesagt, daß wir hierbleiben sollen, damit wir nicht im Weg sind, erklärte Petit Jean.
    – Wir? Ist Marie hier?
    Ihr Sohn nickte in

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