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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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ab einem bestimmten Punkt keine Autos mehr. Bald gab es nur Granitfelsen, Ginster und Heidekraut, und hin und wieder eine Ansammlung von Kiefern.
    So habe ich mir das eher vorgestellt, dachte ich.
    Ich fuhr in der Nähe des Gipfels bei einem Ort, der Col de Finiels hieß, an den Straßenrand und setzte mich auf die Kühlerhaube des Autos. Nach ein paar Minuten hörte der elektrische Kühler auf zu brummen, und es war wunderbar still; ich lauschte und hörte nur ein paar Vögel und das Rauschen des Windes. Meiner Landkarte zufolge war im Osten, hinter einem kleinen Kiefernwäldchen und einem Hügel, die Quelle des Tarn. Ich war in Versuchung, hinzugehen, um sie zu suchen.
    Statt dessen fuhr ich auf der anderen Seite des Berges wieder hinunter, im Zickzack, bis eine letzte Biegung mich nach Le Pont de Montvert führte, wo ich an einem Hotel, einer Schule, einem Restaurant, ein paar Läden und Lokalen, alle auf einer Straßenseite, vorbeikam. Pfade führten von der Hauptstraße weg und wanden sich zwischen den Häusern hoch, die an den Berg gebaut waren. Über den Hausdächern sah ich eine Kirche; eine Glocke hing im steinernen Glockenstuhl.
    Ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf das Wasser auf der anderen Straßenseite, wo hinter einem niedrigen Steinmäuerchen der Tarn floß. Ich parkte in der Nähe einer alten steinernen Brücke, ging hinauf und sah auf das Wasser hinunter.
    Der Tarn hatte sich völlig verändert. Statt breit und gemächlich dahinzufließen, war er nun höchstens sieben Meter breit und reißend wie ein Wildbach. Ich sah lange auf die Kiesel, die gelb und dunkelrot im Wasser glitzerten. Ich konnte die Augen kaum abwenden.
    Dieses Wasser fließt die ganze Strecke bis nach Lisle, dachte ich. Den ganzen Weg bis zu mir.
    Es war Mittwoch, zehn Uhr morgens. Jean-Paul saß vielleicht im Café und betrachtete ebenfalls den Fluß.
    Hör auf, Ella, dachte ich. Denk an Rick, oder denk an gar nichts.
    Von außen war die mairie – ein graues Gebäude mit braunen Fensterläden und einer französischen Flagge, die schlaff in einem der Fenster hing – ganz ansehnlich. Innen sah sie allerdings aus wie ein Trödelladen. Die Sonne strahlte durch einen Staubnebel. Monsieur Jourdain las an einem Schreibtisch in einer entfernten Ecke Zeitung. Er war klein und dicklich, mit hervortretenden Augen, olivfarbener Haut und einem dieser Stoppelbärte, die sich halb über den Hals erstrecken und die Kinnlinie verschwinden lassen. Er beäugte mich mißtrauisch, als ich mir einen Weg durch angeschlagene alte Möbel und Stapel von Papier suchte.
    »Bonjour, Monsieur Jourdain« , sagte ich munter.
    Er grunzte und sah auf seine Zeitung.
    »Mein Name ist Ella Turner – Tournier«, fuhr ich vorsichtig fort. »Ich würde gerne ein paar Dokumente einsehen, die Sie hier in der mairie haben. Es gibt da ein compoix von 1570 . Darf ich es sehen?«
    Er sah kurz zu mir hoch und las dann weiter in seiner Zeitung.
    »Monsieur? Sie sind doch Monsieur Jourdain, nicht wahr? Mir wurde in Mende gesagt, daß ich mit Ihnen sprechen soll.«
    Monsieur Jourdain fuhr sich mit der Zunge über die Zähne.Ich sah zu Boden. Er las eine Sportzeitung, die offenen Seiten zeigten ein Autorennen.
    Er sagte etwas, das ich nicht verstand. »Pardon?« fragte ich. Wieder sagte er etwas Unverständliches, und ich fragte mich, ob er vielleicht betrunken war. Als ich ihn noch einmal bat, sich zu wiederholen, fuchtelte er mit den Händen und sprühte mit Spucke um sich, während er einen Wortschwall über mich ergoß. Ich trat einen Schritt zurück.
    »Gott, was für ein Typ!« murmelte ich auf englisch.
    Er kniff die Augen zusammen und knurrte mich an; daraufhin drehte ich mich um und ging. Ich saß wütend in einem Café, suchte dann die Nummer des Archivs in Mende heraus und rief Mathilde von einem Münztelefon aus an.
    Sie lachte kreischend, als ich ihr erzählte, was passiert war. »Überlaß das mir«, riet sie. »Geh in einer halben Stunde noch mal hin.«
    Was auch immer Mathilde zu Monsieur Jourdain gesagt hatte, es half, denn obwohl er mich feindselig anstarrte, führte er mich durch einen Flur in ein vollgestopftes Zimmer, das einen mit Dokumenten überladenen Schreibtisch enthielt. »Attendez« , murmelte er und ging. Ich schien mich in einer Art Lagerraum zu befinden; während ich wartete, sah ich mich um. Überall standen Kisten mit Büchern herum; einige davon waren sehr alt. Papierstapel, die nach Regierungsdokumenten aussahen, lagen auf dem Boden, und

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