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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Jean-Paul?«
    Ich wurde rot. »Ein Bibliothekar in Lisle, wo ich wohne. Woher kennst du ihn?«
    »Er hat heute nachmittag angerufen.«
    »Er hat bei dir angerufen?«
    »Ja. Er wollte wissen, ob du gefunden hast, was du suchst.«
    »Tatsächlich?«
    »Ist das so eine Überraschung?«
    »Ja. Nein. Ich weiß nicht. Was hast du ihm erzählt?«
    »Ich habe ihm gesagt, daß er dich das selber fragen soll. Aber ein toller Flirt!«
    Ich zog eine Grimasse.
    Auf dem malerischen Sträßchen fuhr ich nach Lisle zurück und folgte dem Tarn durch gewundene Schluchten. Es war bedeckt, und ich war nicht in Fahrlaune. Mir wurde langsam schlecht von all den Kurven. Zum Schluß fragte ich mich, warum ich die Reise überhaupt unternommen hatte.
    Rick war nicht da, als ich nach Hause kam. Das Haus schien leblos, und ich ging von einem Zimmer zum nächsten, konnte weder lesen noch fernsehen. Lange Zeit verbrachte ich im Badezimmer damit, mein Haar im Spiegel zu untersuchen. Mein Friseur in San Francisco hatte mich immer überreden wollen, mein Haar kastanienbraun zu färben, er fand, es würde gut zu meinen braunen Augen passen. Ich hatte den Vorschlag immer abgelehnt, aber jetzt hatte er seinen Willen. Meine Haare wurden eindeutig rot.
    Um Mitternacht machte ich mir Sorgen: Rick hatte den letzten Zug aus Toulouse verpaßt. Ich hatte keine der Telefonnummern von seinen Kollegen, und ich wußte nicht, mit wem er sonst hätte unterwegs sein können. Es gab niemanden in der Nähe, den ich anrufen konnte, keine mitfühlende Freundin, die mir zuhören und mich beruhigen könnte. Ich dachte kurz daran, Mathilde anzurufen, aber es war spät, und ich kannte sie nicht gut genug, um sie mit panischen Mitternachtsanrufen zu belästigen.
    Statt dessen rief ich meine Mutter in Boston an. »Bist du sicher , daß er dir nicht gesagt hat, wo er hingegangen ist?« sagte sie mehrmals. » Wo bist du nochmal gewesen? Ella, hast du dich auch genug um ihn gekümmert?« Sie interessierte sich nicht für meine Nachforschungen bezüglich der Tourniers. Es war nicht ihre Familie; die Cevennen und französische Maler bedeuteten ihr nichts.
    Ich wechselte das Thema. »Mom«, sagte ich, »mein Haar ist rot geworden.«
    »Was? Hast du es mit Henna gefärbt? Sieht es gut aus?«
    »Ich hab es nicht –« Ich konnte ihr nicht sagen, daß es einfach so geworden war, es klang zu abwegig. »Es sieht ganz gut aus«, sagte ich schließlich. »Eigentlich sehr gut. Irgendwie natürlich.«
    Ich ging zu Bett, lag aber stundenlang wach und lauschte auf Ricks Schlüssel in der Haustür, zerbrach mir dabei den Kopf, ob ich mir jetzt Sorgen machen sollte oder nicht, erinnerte mich dabei daran, daß er erwachsen war, aber auch daran, daß er mir eigentlich immer sagte, wo er hinging.
    Ich stand früh auf und saß Kaffee trinkend bis um halb acht da, als die Empfangsdame in Ricks Firma endlich das Telefon abnahm. Sie wußte nicht, wo er war, versprach aber, seine Sekretärin zurückrufen zu lassen, sobald sie kommen würde. Als sie um halb neun anrief, war ich vom Kaffee aufgeputscht, und es war mir leicht schwindlig.
    »Bonjour, Madame Middleton«, flötete sie. »Wie geht es Ihnen?«
    Ich hatte längst aufgegeben, ihr zu erklären, daß ich Ricks Namen nicht angenommen hatte.
    »Wissen Sie, wo Rick ist?« fragte ich.
    »Aber er ist doch in Paris, geschäftlich«, sagte sie. »Er mußte vorgestern ganz plötzlich los. Er wird heute abend zurückkommen. Hat er Ihnen denn nichts gesagt?«
    »Nein. Nein, hat er nicht.«
    »Ich gebe Ihnen seine Nummer im Hotel, falls Sie ihn dort anrufen möchten.«
    Als ich das Hotel erreichte, hatte Rick schon ausgecheckt. Aus irgendeinem Grund machte mich das noch wütender als alles andere.
    Als er an diesem Abend nach Hause kam, konnte ich kaum mit ihm sprechen. Er sah überrascht aus, mich zu sehen, aber auch erfreut.
    Ich sagte nicht einmal hallo. »Warum hast du mir nicht gesagt, wo du warst?« fragte ich vorwurfsvoll.
    »Ich hab ja nicht gewußt, wo du warst.«
    Ich zog die Augenbrauen hoch. »Du hast ganz genau gewußt, daß ich zum Archiv in Mende gefahren bin, um alte Dokumente anzusehen. Du hättest mich dort erreichen können.«
    »Ella, ehrlich gesagt war ich nicht sicher, was du in den letzten Tagen gemacht hast –«
    »Was meinst du denn damit?«
    »– Wo du gewesen bist, wohin du gefahren bist. Du hast mich nicht angerufen. Du hattest dich nicht besonders deutlich ausgedrückt, wohin du fahren wolltest oder wie lange du weg sein

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