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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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würdest. Ich wußte nicht, daß du heute zurück sein würdest. Soviel ich wußte, hättest du wochenlang weg sein können.«
    »Ach, übertreib doch nicht.«
    »Ich übertreibe nicht. Mach mal halblang, Ella. Du kannst nicht erwarten, daß ich dir sage, wo ich bin, wenn du mir selber nicht sagst, wo du bist.«
    Ich blickte grollend zu Boden. Er war so vernünftig und hatte so verdammt recht, daß ich ihn hätte prügeln können. Ich seufzte und sagte: »Ja. Entschuldige. Es tut mir leid. Es ist bloß, ich hab gar nichts gefunden, und dann bin ich zurückgekommen und du warst nicht hier, und, ach, ich hab heute zuviel Kaffee getrunken. Jetzt fühl ich mich ganz schwummerig.«
    Rick lachte und legte seinen Arm um mich. »Erzähl mir, was du nicht gefunden hast.«
    Ich vergrub mein Gesicht an seiner Schulter. »Es ist einfach überhaupt nichts dabei rausgekommen. Außer, daß ich eine nette Frau und einen verbissenen alten Mann kennengelernt habe.«
    Ich spürte, wie Ricks Wange meinen Kopf streifte. Ich hob den Kopf, so daß ich sein Gesicht sehen konnte. Er hatte die Stirn gerunzelt.
    »Hast du dir die Haare gefärbt?«
    Am nächsten Tag schlenderten Rick und ich durch den Samstagsmarkt, sein Arm war um meine Schultern gelegt. Ich fühlte mich entspannter als je zuvor in den letzten zwei Monaten. Um dieses Gefühl zu feiern und außerdem die Tatsache, daß die Psoriasis zurückzugehen schien, trug ich mein Lieblingskleid, ein hellgelbes ärmelloses Wickelkleid.
    Der Markt war mit dem herannahenden Sommer jedes Wochenende größer geworden. Jetzt war soviel los, wie ich es noch nie gesehen hatte, und er füllte den Platz ganz aus. Die Bauern waren mit Wagenladungen von Obst und Gemüse, Käse, Honig, Speck, Brot, Pasteten, Hühnern, Kaninchen und Ziegen gekommen. Man konnte Jahresvorratspackungen von Süßigkeiten, Schürzen wie die von Madame und sogar Traktoren kaufen.
    Alle waren da: Unsere Nachbarn, die Frau aus der Bibliothek, Madame auf einer Bank mit ein paar von ihren Freundinnen, Frauen aus meinem Yoga-Unterricht, die Frau mit dem fast erstickten Kind und alle, von denen ich jemals etwas gekauft hatte.
    Sogar mit so vielen Leuten um mich herum sah ich ihn sofort. Er schien gerade einen wütenden Streit mit einem Mann, der Tomaten verkaufte, auszutragen; dann lachten beide und klopften sich auf den Rücken. Jean-Paul nahm eine Tüte mit Tomaten, drehte sich um und rannte mich fast um. Ich sprang zurück, um keine Tomaten auf mein Kleid zu bekommen, und stolperte. Rick und Jean-Paul nahmen beide einen meiner Ellbogen, und als ich mein Gleichgewicht wiedererlangte, standen sie beide da und hielten mich eine Sekunde lang fest, bevor Jean-Paul seine Hand fallen ließ.
    » Bonjour , Ella Tournier«, sagte er, nickte mir zu und hob leicht die Augenbrauen. Er trug ein hellblaues Hemd; ich fühlte ein plötzliches Verlangen danach, meine Hand auszustrecken, um es zu berühren.
    »Hallo, Jean-Paul«, erwiderte ich ruhig. Ich erinnerte mich, irgendwo gelesen zu haben, daß die Person, der man die anderevorstellt, die wichtigere ist. Gezielt wandte ich mich an Rick und sagte: »Rick, das ist Jean-Paul. Jean-Paul, das ist Rick, mein Mann.«
    Die beiden gaben sich die Hand, wobei Rick Bonjour sagte und Jean-Paul Hello . Ich mußte beinahe lachen, so verschieden waren sie: Rick groß, breitschultrig, golden und offen, Jean-Paul klein, drahtig, dunkel und berechnend. Ein Löwe und ein Wolf, dachte ich. Und wie sie sich mißtrauen.
    Es folgte ein unbehagliches Schweigen. Jean-Paul wandte sich zu mir und sagte auf englisch: »Wie sind Ihre Forschungen in Mende gewesen?«
    Nonchalant zuckte ich die Achseln. »Nicht besonders. Nichts Brauchbares. Eigentlich gar nichts.« Ich fühlte mich allerdings gar nicht nonchalant: Mit Schuld und Vergnügen dachte ich daran, daß Jean-Paul Mathilde angerufen und ich ihn nicht zurückgerufen hatte; daß Jean-Pauls unbeholfenes Englisch das einzige war, was seine innere Aufregung verriet; daß er und Rick so verschieden waren; daß beide mich so genau beobachteten.
    »Also, sind Sie noch in andere Städte gegangen für Ihre Recherchen?«
    Ich versuchte, Rick nicht anzusehen. »Ich bin auch noch nach Le Pont de Montvert gefahren, aber da gab es nichts. Es gibt nicht viel aus dieser Zeit. Aber es ist auch nicht so wichtig. Es macht eigentlich nichts.«
    Jean-Pauls sardonisches Grinsen besagte dreierlei: Du lügst, du hast gedacht, es wäre ganz einfach, und ich hab’s dir gleich gesagt.
    Aber

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