Das dunkelste Blau
überheblich sind, weil Sie eine Waschmaschine gekauft haben.«
»Warum das denn?«
»Sie finden, daß Sie von Hand waschen sollten wie sie es tun. Nur Leute mit Kindern sollten Maschinen haben. Und sie denken, daß die Farbe, in der Sie Ihre Fensterläden gestrichen haben, vulgär ist und nicht nach Lisle paßt. Sie denken, daß Sie keine Finesse haben. Daß Sie keine ärmellosen Kleider tragen sollten. Daß Sie unhöflich sind und mit den Leuten Englisch sprechen. Daß Sie eine Lügnerin sind, denn Sie haben Madame Rodin in der boulangerie erzählt, daß Sie hier wohnen würden, als Sie noch gar nicht hier wohnten. Und Sie haben den Lavendel auf dem Platz gepflückt, und das macht niemand. Das war eigentlich ihr erster Eindruck von Ihnen. Es ist schwer, das zu ändern.«
Wir fuhren ein paar Minuten lang schweigend. Ich fühlte mich den Tränen nah, wollte aber gleichzeitig lachen. Ich hatte nur einmal in der Öffentlichkeit Englisch gesprochen, aber das zählte viel mehr als die unzähligen Male, die ich Französisch gesprochen hatte. Jean-Paul zündete eine Zigarette an und öffnete sein Fenster einen Spalt.
»Denken Sie auch, daß ich unhöflich bin und keine Finesse habe?«
»Nein.« Er grinste. »Und ich finde, daß Sie öfters ärmellose Kleider tragen sollten.«
Ich wurde rot. »Also, haben sie auch etwas Nettes über mich gesagt?«
Er dachte einen Moment lang nach. »Sie denken, daß Ihr Mann sehr gut aussieht, sogar mit dem –« Er zeigte an seinen Hinterkopf.
»Pferdeschwanz.«
»Ja. Aber sie verstehen nicht, warum er rennt, und sie finden, seine Shorts sind zu kurz.«
Ich lächelte. Jogging schien fehl am Platz in einem französischen Dorf, aber Rick war immer immun gegen ihr Starren. Dann wich mein Lächeln.
»Wieso wissen Sie das alles über mich?« fragte ich. »Die Quiches und Schwangersein und die Fensterläden und die Waschmaschine? Sie tun so, als stünden Sie über diesem ganzen Geschwätz, aber Sie scheinen genausoviel zu wissen wie alle anderen.«
»Ich klatsche nicht«, erwiderte Jean-Paul fest und blies Rauch aus dem Fenster. »Jemand hat es mir als Warnung erzählt.«
»Warnung wovor?«
»Ella, es ist jedesmal eine öffentliche Sache, wenn wir uns treffen. Es ist für Sie nicht richtig, sich mit mir zu treffen. Man hat mir gesagt, daß die Leute über uns tratschen. Ich hätte vorsichtiger sein sollen. Es macht nichts für mich, aber Sie sind eine Frau, und es ist immer schlimmer für eine Frau. Jetzt werden Sie sagen, daß das falsch ist«, fuhr er fort, als ich versuchte, ihn zu unterbrechen, »aber richtig oder falsch, es ist so. Und Sie sind verheiratet. Und Sie sind eine Fremde. All das macht es noch schlimmer.«
»Aber es ist beleidigend, daß Sie deren Urteil wichtiger als meines finden. Was ist schon dabei, wenn ich mich mit Ihnen treffe? Ich tue doch nichts Schlimmes, um Himmels willen. Ich bin mit Rick verheiratet, aber das heißt nicht, daß ich nie wieder mit einem anderen Mann sprechen kann!«
Jean-Paul sagte nichts.
»Wie können Sie nur damit leben?« sagte ich ungeduldig. »Mit diesem Dorfleben voller Klatsch und Tratsch? Wissen die alles über Sie?«
»Nein. Natürlich war es ein Schock nach der Großstadt, aber ich habe gelernt, diskret zu sein.«
»Diskret nennen Sie das, sich so wegzuschleichen, um mich zu treffen? Jetzt sieht es wirklich so aus, als hätten wir was zu verbergen.«
»So ist es auch nicht ganz. Was sie am meisten beleidigt, ist, wenn es direkt vor ihnen ist, vor ihren Nüstern.«
»Vor ihrer Nase.« Ich mußte trotz allem lächeln.
»Vor ihrer Nase.« Er lächelte grimmig zurück. »Es ist ein anderes Denken.«
»Wie auch immer, die Warnung hat ja offensichtlich nichts genützt. Wir sind schließlich hier.«
Den Rest der Fahrt über schwiegen wir.
Der Einband war halb verbrannt, die Seiten verkohlt und unleserlich, bis auf die erste. Mit zittriger Handschrift stand in verblaßter brauner Tinte das Folgende geschrieben:
Jean Tournier n. 16 août 1507
m. Hannah Tournier 18 juin 1535
Jacques n. 28 août 1536
Etienne n. 29 mai 1538
m. Isabelle du Moulin 28 mai 1563
Jean n. 1 janvier 1563
Jacob n. 2 juillet 1565
Marie n. 9 octobre 1567
Susanne n. 12 mars 1540
m. Bertrand Bouleaux 29 novembre 1565
Deborah n. 16 octobre 1567
Vier Augenpaare ruhten auf mir: Jean-Paul, Mathilde, Monsieur Jourdain – der zu meiner Überraschung neben Mathilde saß und einen Highball trank, als wir hereinkamen – und ein kleines blondes
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