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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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schlecht gewesen im Neinsagen. Ich könnte seinen Blick nicht ertragen.
    »Okay«, sagte ich schließlich. »In ein paar Tagen, in Ordnung? Aber Lucien –«
    Er sah so glücklich aus, daß ich einfach nicht weiterreden konnte. »Ach, nichts. Irgendwann diese Woche dann also.«
    Als ich zurückkam, spielte Jacob wieder Klavier. Er hörte auf und holte ein Blatt Papier. »Schlechte Nachrichten, leider«, sagte er. »Die Aufzeichnungen in Berne gehen nur bis 1750 zurück. Der Bibliothekar in Porrentruy hat mir gesagt, daß die Gemeindeaufzeichnungen des sechzehnten und des frühen siebzehnten Jahrhunderts in einem Feuer vernichtet wurden. Es gibt allerdings ein paar Militärlisten, die du dir ansehen kannst. Da hatte mein Großvater seine Informationen her, soviel ich weiß.«
    »Wahrscheinlich hat dein Großvater alles gefunden, was es zu finden gab. Aber danke, daß du für mich angerufen hast.« Militärlisten waren nutzlos – ich interessierte mich für die Frauen. Aber das erzählte ich ihm nicht.
    »Jacob, hast du jemals von einem Maler namens Nicolas Tournier gehört?« fragte ich statt dessen.
    Er schüttelte den Kopf. Ich ging in mein Zimmer und holte die Postkarte, die ich mitgebracht hatte.
    »Sieh mal, er war aus Montbéliard«, erklärte ich und gab ihm die Karte. »Ich dachte mir, er könnte ein Vorfahr sein. Vielleicht ist ein Teil der Familie nach Montbéliard gezogen.«
    Jacob sah sich das Gemälde an und schüttelte den Kopf. »Ich habe noch nie etwas von einem Maler in der Familie gehört. Die Tourniers hatten meist praktische Berufe. Außer mir!« Er lachte und wurde dann ernst. »Ach, Ella, Rick hat angerufen, als du weg warst.«
    »Oh.«
    Er sah verlegen aus. »Ich soll dir ausrichten, daß er dich liebt.«
    »Oh. Danke.« Ich sah zu Boden.
    »Weißt du, du kannst hierbleiben, so lange du willst. So lange es nötig ist.«
    »Ja. Danke. Wir haben – es gibt da ein paar Probleme, weißt du.«
    Er sagte nichts, sah mich nur an, und für einen kurzen Augenblick erinnerte mich das an das Paar im Zug. Auch Jacob war Schweizer.
    »Jedenfalls bin ich sicher, daß alles bald wieder in Ordnung kommt.«
    Er nickte. »Bis dahin bleibst du bei deiner Familie.«
    »Ja.«
    Nachdem ich Jacob von Rick und mir erzählt hatte, hatte ich nicht mehr das Gefühl, meinen Aufenthalt rechtfertigen zu müssen. Es regnete am nächsten Tag, so daß wir unseren Ausflug zum Hof verschoben, und ich fühlte mich sehr wohl dabei, den ganzen Tag herumzusitzen und zu lesen und Jacob und Susanne beim Spielen zuzuhören. Abends aßen wir in der Pizzeria, die einmal ein Tourniersches Gasthaus gewesen war, jetzt aber entschieden italienisch wirkte.
    Am nächsten Morgen gingen wir alle zusammen los, um uns den Hof anzusehen. Susanne war noch nie dagewesen, obwohl sie fast ihr ganzes Leben lang in Moutier gewohnt hatte. Am Stadtrand begann ein Pfad, der mit einem gelben Schild als »Pédestre tourisme« gekennzeichnet war, mit dem Hinweis, daß es zu Fuß fünfundvierzig Minuten nach Grand Val dauern würde.Das gibt es wohl nur in der Schweiz: daß angegeben wird, wie lange ein Spaziergang dauert, und nicht die Entfernung. Links von uns lag die Schlucht, von der Goethe geschrieben hatte: eine dramatische Steilwand aus gelb-grauem Stein, in der Mitte ein Einschnitt, durch den die Birse floß. Es war sehr eindrucksvoll, vor allem wenn die Sonne so darauf schien; die Felsformation wirkte wie eine Kathedrale.
    Das Tal, dem wir folgten, war sanfter, mit einem namenlosen Bach und Feldern, darüber kamen Kiefern und dann ein plötzlicher Anstieg zu den Felsen hoch über uns. Pferde und Kühe grasten auf den Feldern; in regelmäßigen Abständen tauchten Höfe auf. Alles war ordentlich und in helles, klares Licht getaucht.
    Die Männer gingen rasch vorneweg, Susanne und ich folgten langsamer nach. Sie trug eine blaugrüne ärmellose Bluse und weite weiße Hosen, die um ihre schlanken Beine flatterten. Sie sah blaß und müde aus, und ihre Fröhlichkeit wirkte aufgesetzt. Ich wußte von der Art, wie sie eine gewisse Distanz zu Jan hielt und mich schuldbewußt ansah, daß sie ihm noch nichts erzählt hatte.
    Wir blieben weiter und weiter hinter den Männern zurück, als hätten wir uns etwas Vertrautes zu sagen. Ich schauderte, obwohl es ein warmer, sonniger Tag war, und wickelte Jean-Pauls blaues Hemd fester um mich. Es roch nach Rauch und nach ihm.
    Jacob und Jan blieben an einer Weggabelung stehen, und als wir sie einholten, zeigte Jacob zu

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