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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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einem Haus, das ein kleines Stück oberhalb stand, dort, wo die Felder aufhörten und die Bäume anfingen, die bis in die Berge hinaufwuchsen. »Das ist der Hof«, sagte er.
    Ich will da nicht hin, dachte ich. Warum nur? Ich sah zu Susanne hinüber. Sie erwiderte meinen Blick, und ich wußte, daß es ihr genauso ging. Die Männer begannen den Hügel hinaufzusteigen, während sie und ich dastanden und ihnen nachsahen.
    »Komm«, winkte ich Susanne zu und fing an, hinter den Männern herzugehen. Sie kam mir langsam nach.
    Der Hof war ein langes, niedriges Gebäude, die linke Seite ein Steinhaus, die rechte Seite eine Holzscheune. Das lange, flache Dach erstreckte sich über beide Seiten, sie teilten sich einen offenen Eingang, der zu einer Art dämmerigem, überdachtem Vorplatz führte, der laut Jacob devant-huis genannt wurde. Er war mit Stroh, Holzplanken und alten Eimern übersät. Ich hätte gedacht, daß der Heimatverein etwas tat, um das Haus zu erhalten, aber das Ganze schien langsam zu verfallen: Die Fensterläden hingen schief in den Angeln, die Fensterscheiben waren zerbrochen, und auf dem Dach wuchs Moos.
    Jacob und Jan bewunderten den Hof, während Susanne und ich unsere Fußspitzen studierten. »Seht ihr den Kamin?« Jacob zeigte auf ein merkwürdiges klumpiges Gebilde, das aus dem Dach emporragte – keine saubere Anordnung von Steinen an einer Wand, wie ich erwartet hatte. »Er ist aus Kalkstein«, erklärte Jacob. »Das ist ein weicher Stein, also haben sie eine Art Zement benutzt, um ihn zu formen und zu härten. Der größte Teil des Kamins befindet sich innen. Gehen wir hinein, und ihr werdet den Rest sehen.«
    »Ist es denn offen?« fragte ich zögernd und wünschte, es wäre ein Schloß an der Tür oder ein Schild mit der Aufschrift »Propriété privée« .
    »O ja, ich war hier schon drin. Ich weiß, wo der Schlüssel versteckt ist.«
    Verdammt, dachte ich. Ich hätte nicht erklären können, warum ich nicht hineingehen wollte; schließlich waren wir meinetwegen hergekommen. Ich fühlte, wie Susanne mich hilflos ansah, als ob ich diejenige wäre, die dem allen ein Ende machen müßte. Es war, als würden wir durch eine kalte männliche Logik hineingezogen, gegen die wir nichts ausrichten konnten. Ich streckte meine Hand nach ihr aus. »Komm«, sagte ich. Sie legte ihre Hand in meine. Sie war eiskalt.
    »Deine Hand ist kalt«, sagte sie.
    »Deine auch.« Grimmig lächelten wir uns an. Ich hatte das Gefühl, als wären wir zwei kleine Mädchen in einem Märchen, als wir in das Haus traten.
    Drinnen war es düster, das einzige Licht kam von der Tür her und von zwei schmalen Fenstern. Als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich noch mehr Holz erkennen und ein paar zerbrochene Stühle, die auf dem festgestampften Boden lagen. Gleich neben der Tür war ein schwarzer Herd, der längs in den Raum gesetzt war anstatt parallel zur Wand. An jeder Ecke des Herdes stand ein quadratischer Steinpfeiler, eineinhalb bis zwei Meter hoch. Von den Steinbögen, die auf den Pfeilern ruhten, führte das gleiche klumpige Bauwerk nach oben, wie es auch außen am Haus zu sehen war, eine häßliche, aber praktische Pyramide, die den Rauch hinausleitete.
    Ich ließ Susannes Hand los und stieg auf den Herd, um in den Kamin hineinzusehen. Über mir war es schwarz; sogar als ich mich auf die Zehenspitzen stellte und mich an einem Pfeiler festhielt, mich dabei so weit wie möglich nach oben streckte, konnte ich keine Öffnung entdecken. »Muß blockiert sein«, murmelte ich. Mir wurde plötzlich schwindlig, ich verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden.
    Jacob war gleich neben mir, half mir auf und klopfte mir den Schmutz ab. »Alles in Ordnung?« fragte er, seine Stimme klang besorgt.
    »Ja«, erwiderte ich zitternd. »Ich – ich muß wohl das Gleichgewicht verloren haben. Vielleicht ist der Stein uneben.«
    Ich sah mich nach Susanne um; sie war weg. »Wo ist –« fing ich an, als mir ein scharfer Schmerz in den Magen schoß; ich ließ Jacob stehen und rannte nach draußen.
    Susanne hatte sich im Garten vornüber gebeugt, die Arme über dem Bauch verschränkt. Jan stand neben ihr und starrte sie sprachlos und entgeistert an. Als ich meinen Arm um ihre Schulterlegte, japste sie, und eine hellrote Blume erschien an der Innenseite ihrer Schenkel auf ihren Hosen und breitete sich schnell nach unten aus.
    Eine Sekunde lang wurde ich von Panik erfaßt. Lieber Himmel, dachte ich, was mach ich bloß?

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