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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Wir sind nicht sicher, ob er wirklich den Tourniers gehört hat, aber der Familientradition nach ist es so. Er ist auf jeden Fall ganz interessant, denn er hat einen alten Kamin. Anscheinend war es eines der ersten Häuser im Tal, die einen hatten.«
    »Haben nicht alle Häuser einen Kamin?«
    »Jetzt schon, aber vor langer Zeit war es ungewöhnlich. Keiner der Höfe hier in der Gegend hatte einen.«
    »Was passierte mit dem Rauch?«
    »Es gab eine zweite Zimmerdecke, und der Rauch sammelte sich zwischen dieser Decke und dem Dach. Die Bauern haben dort ihr Fleisch zum Trocknen aufgehängt.«
    Es klang scheußlich. »Müssen die Häuser dann nicht voller Rauch und Ruß gewesen sein?«
    Jacob kicherte. »Wahrscheinlich. Es gibt in Grand Val noch einen Hof ohne Kamin. Ich war mal drin, die Feuerstelle und die Decke darüber sind völlig schwarz vom Ruß. Aber der Tournier-Hof – wenn er überhaupt den Tourniers gehörte – ist anders, er hat eine Art Kamin.«
    »Wann wurde er gebaut?«
    »Im siebzehnten Jahrhundert, glaube ich. Vielleicht Ende des sechzehnten. Das heißt, der Kamin. Der Rest des Hofes ist mehrmals umgebaut worden, aber der Kamin ist geblieben. Übrigens hat der hiesige Heimatverein den Hof vor ein paar Jahren gekauft.«
    »Also steht er jetzt leer? Können wir ihn uns ansehen?«
    »Natürlich. Morgen, wenn das Wetter schön ist. Ich habe erst am späten Nachmittag Unterricht. Also, wo sind diese Telefonnummern?«
    Ich erklärte, was ich wollte, und ging spazieren, während er telefonierte. Es gab nicht mehr viel in Moutier, was ich noch nicht gesehen hatte, aber es war angenehm, herumzulaufen, ohne angestarrt zu werden. Nach drei Tagen grüßten die Leute mich hier sogar zuerst, was in Lisle-sur-Tarn nicht einmal nach drei Monaten der Fall war. Sie schienen höflicher und weniger argwöhnisch zu sein als die Franzosen.
    Etwas Neues fand ich allerdings doch, als ich durch die Straßen ging: Ein Schild, auf dem stand, daß Goethe an dieser Stelle im Oktober 1779 einmal im Gasthaus »Cheval Blanc« übernachtet hatte. Er hatte Moutier in einem Brief erwähnt, die Felsformationen, die es umschlossen, beschrieben, und besonders eine eindrucksvolle Schlucht im Osten. Es schien etwas übertrieben,wegen einer einzigen Nacht ein Schild anzubringen. Ein Zeichen, wie wenig in Moutier passierte.
    Ich wandte mich von dem Schild ab und sah Lucien mit zwei Eimern Farbe auf mich zukommen. Ich hatte das Gefühl, daß er mich beobachtet hatte und die Eimer erst jetzt nahm und sich in Bewegung setzte.
    »Bonjour«, sagte ich. Er blieb stehen und stellte die Eimer ab.
    »Bonjour« , erwiderte er.
    »Ça va?«
    »Oui, ça va.«
    Wir standen unbehaglich herum. Ich fand es schwierig, ihm in die Augen zu sehen, denn er schaute mich so direkt an und schien in meinen Augen nach etwas zu suchen. Seine Aufmerksamkeit war das letzte, was ich jetzt brauchen konnte. Das war wahrscheinlich der Grund, warum er sich zu mir hingezogen fühlte. Er war jedenfalls fasziniert von meiner Schuppenflechte. Sogar jetzt starrte er sie an.
    »Lucien, das ist Schuppenflechte«, fuhr ich ihn an und freute mich insgeheim, daß ich ihn in Verlegenheit bringen konnte. »Das hab ich Ihnen doch neulich schon gesagt. Warum starren Sie immer noch hin?«
    »Entschuldigung.« Er sah weg. »Es ist nur so, daß – ich hab das auch manchmal. An der gleichen Stelle an den Armen. Ich hab immer gedacht, daß es eine allergische Reaktion auf die Farbe ist.«
    »Oh, das tut mir leid!« Jetzt fühlte ich mich schuldig, ärgerte mich aber immer noch über ihn, weshalb ich mich noch schuldiger fühlte. Ein Teufelskreis.
    »Warum sind Sie nicht zum Arzt gegangen?« fragte ich etwas sanfter. »Der sagt Ihnen, was es ist, und kann Ihnen etwas dagegen verschreiben. Es gibt da eine Salbe – ich hab sie zu Hause gelassen, sonst würde ich sie jetzt benutzen.«
    »Ich mag Ärzte nicht«, erklärte Lucien. »Da fühle ich mich immer irgendwie fehl am Platz.«
    Ich lachte. »Ich weiß, was Sie meinen. Und hier – in Frankreich, meine ich – verschreiben sie so viel. Zuviel.«
    »Warum bekommt man sie, diese Schuppenflechte?«
    »Angeblich vom Streß. Aber die Salbe ist nicht schlecht. Sie könnten den Arzt einfach fragen –«
    »Ella, gehen Sie mal mit mir auf einen Drink aus?«
    Ich sagte erst mal gar nichts. Eigentlich sollte ich das im Keim ersticken: Ich war nicht an ihm interessiert, und es war völlig unpassend, besonders gerade jetzt. Aber ich war schon immer

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