Das dunkle Erbe
besitzt, wie die Alarmanlage funktioniert. Das hat sich dann als unerheblich herausgestellt.«
»Weil es keine Spuren eines gewaltsamen Eindringens gibt«, ergänzte Raupach. »Der Mörder kam vermutlich durch die Vordertür ins Haus. Vielleicht hat Ihre Frau ihm sogar aufgemacht.«
»Genau.« Schwan wirkte sachlich und zeigte keine Spur von Betroffenheit. »Jedenfalls zog sich die Befragung ziemlich lang hin. Wir redeten über mein Verhältnis mit Gesa. Ich sagte der Kommissarin, wie oft und wann wir uns getroffen haben. Dann ging ich Sophies Adressbuch mit ihr durch und zeigte ihr eine Reihe persönlicher Gegenstände, damit sie sich ein Bild von meiner Frau machen konnte, von ihren vielen Aktivitäten, ihrem Tagesablauf.«
Raupach kannte das grobe Profil des ersten Mordopfers. Sophie Schwan, 41, hatte sich ein unabhängiges Leben eingerichtet. Sie gehörte nicht zu den Arztgattinnen, die dauernd in die Praxis hereinschneien und den Betrieb aufhalten. Sie arbeitete ihrem Mann auch nicht zu, indem sie sich zum Beispiel um seine Abrechnungen kümmerte. Vor fünf Jahren hatte sie die Geschäftsführung eines Ausflugslokals in Rodenkirchen übernommen, das sie mitsamt dem Gebäude von einem ihrer Onkel geerbt hatte. An Geld schien bei den Schwans kein Mangel zu herrschen. Sophie hatte das Lokal umbauen und modernisieren lassen, mit Erfolg, es lief besser denn je.
Daneben trieb sie viel Sport, Golf, Yoga, Nordic Walking. Sie traf sich fast täglich mit ihren Freundinnen und beaufsichtigte Verschönerungen am Wohnhaus der Schwans in der Goltsteinstraße: ein Wintergarten, eine neue Hecke, ein zusätzlicher Kamin. Als Tochter eines Spediteurs, den die Binnenschifffahrt zum mehrfachen Millionär gemacht hatte, waren ihr materielle Sorgen unbekannt gewesen, zumal ihr Mann Bernhard selbst über Vermögen verfügte. Die Ehe war kinderlos.
»Was haben Sie sonst noch getan am Sonntag?«, fragte Raupach.
»Als mich die Kommissarin nicht mehr brauchte, bin ich spazieren gegangen. Am Rheinufer in Rodenkirchen. Und weil ich gerade in der Gegend war, habe ich in der ›Loreley‹ vorbeigeschaut, dem Lokal meiner Frau.«
»Wissen Sie schon, wie es damit weitergeht?«
»Es wird für einige Wochen geschlossen, bis ich einen neuen Geschäftsführer aufgetrieben habe.« Schwan seufzte. »Nicht leicht momentan. Ich habe wirklich andere Sorgen.«
»Sie stehen unter Mordverdacht«, gab Raupach zu bedenken.
Schwan schien Raupach nicht zu hören. »Abends habe ich dann die Messe besucht. Sankt Maria in der Kupfergasse, ich brauchte dringend Trost, verstehen Sie? Wo sollte ich den sonst bekommen? Es ist ein gutes Gefühl, wenn es jemanden gibt, dem Sie alles sagen können, egal, wie schlimm es ist. Dem Sie bedingungslos vertrauen.«
»Von wem sprechen Sie?«
»Von Gott natürlich.« Schwan lächelte.
»Haben Sie Trost gefunden?«
»Wenn Sie wirklich Christ sein wollen, wenn Sie sich bekehren, wie ich es getan habe, dann ändern Sie nicht einfach Ihre Ideen. Es ist ein kleiner Tod. Die Grenzen Ihres Ichs brechen auf: Sie verlieren sich selbst, um sich neu zu finden.«
Raupach betrachtete den Mann, der so ungezwungen über sein Innerstes plauderte. Viele seiner Äußerungen deuteten darauf hin, dass hier kein Täter sprach. Auch schien er kein besonders guter Schauspieler zu sein – Naivität war von allen menschlichen Eigenschaften wohl am schwierigsten vorzutäuschen.
Aber es konnte eine ganze Reihe von Gründen geben, aus denen sich Schwan so verhielt. Persönlichkeitsspaltung zum Beispiel. Diese tiefe Religiosität. Kaschierte er damit einen anderen Teil von sich selbst, der sonst unter der Oberfläche schlummerte und nur in Ausnahmefällen hervorbrach? Versteckte sich hinter dem braven, leicht verwirrten Durchschnittstypen ein brutaler Mörder? Die beiden Frauen wurden mit einem sehr scharfen Messer getötet, vermutlich mit einem Skalpell. Von hinten, wie die Schnittrichtung nahelegte. Eine einzige Bewegung, gezielt, fachmännisch, wie von einem Elektriker, der ein Kabel durchtrennt. Schwan nahm in seiner Praxis auch kleinere ambulante Operationen vor.
Die Kriminaltechniker hatten die Tatwaffe noch nicht gefunden. Auf Raupachs Bitte war Effie Bongartz für den Fall abgestellt worden. Hattebier, der Leiter der Spurensicherung, hielt sie für seine beste Nachwuchskraft. Bislang hatte Effie jedoch wenig ausrichten können. Von Berufs wegen war Schwan ein Profi. Vielleicht war er ein Meister im Verwischen von Spuren und tat es
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