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Das dunkle Erbe

Das dunkle Erbe

Titel: Das dunkle Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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wunderte mich, rief in der Villa an. Niemand nahm ab. Damit gab ich mich zufrieden.«
    Viktoria Brehm nahm einen Schluck Kaffee und behielt ihn ein paar Sekunden im Mund. »Als Eva am nächsten Tag immer noch verschwunden war, habe ich die Polizei verständigt. Dort hat man mich erst nicht für voll genommen. Aber nach einer Weile kam ein Herr Höttges her und nahm meine Aussage auf. Kurz darauf ging es dann ganz schnell, Ihre Kollegen rollten mit einem großen Aufgebot an.« Sie machte eine entsprechende Geste. »Aber wie ich sehe, lässt das Interesse der Polizei schnell nach.«
    Photini nippte an ihrem Mokka. Er war zu süß. »Lassen Sie sich nicht von der Anzahl der Streifenwagen täuschen. Die meisten Kommissare tragen keine Uniform. Sonst würde man uns ja sofort erkennen.«
    Viktoria Brehm schien zu begreifen. »Da haben Sie wohl recht.«
    »Wir sind an dem Fall dran. Und wir legen großen Wert auf Ihre Aussage. Bitte beantworten Sie mir ein paar Fragen.«
    »Wenn ich kann.« Die Frau setzte sich zurecht. Ihr Haar, dunkelbraun getönt, war zu einem Zopf geflochten und kunstvoll eingerollt. Es saß auf dem Hinterkopf wie ein rundes, abgeflachtes Hütchen.
    »Wie gut waren Sie mit Eva von Barth befreundet?«
    Viktoria Brehm schloss die Augen. »Meine Güte. Sie bringen mich in Verlegenheit. Wie gut ist lebenslang?«
    »So lang kannten Sie sich?«
    »Seit unserer Kindheit. Schon unsere Väter waren befreundet. Wir wuchsen zusammen auf.« Ein Zittern schlich sich in ihre Stimme. »Das vergisst man irgendwann. Man nimmt es für selbstverständlich. Die Menschen, die einen begleiten, sind die ganze Zeit über da, in Sichtweite. Man trifft sich, tauscht sich aus, teilt Freud und Leid. Und von einem Tag auf den anderen sind sie plötzlich weg.«
    »Sie haben doch sicher hin und her überlegt, wo Eva von Barth sein könnte. Ist Ihnen etwas eingefallen?«
    »Unsere Wege haben sich schon einmal getrennt. Aber das ist lange her. Wenn eine Frau wie ich intensiv nachdenkt, kommen nur Erinnerungen hoch. Für Ihre Zwecke ist das bestimmt nicht ergiebig.«
    »Erzählen Sie mir davon?« Photini hatte den Eindruck, dass Viktoria Brehm keineswegs so alt war, wie sie tat oder sich fühlte, trotz ihres Stocks.
    »Eva und ich waren wie Schwestern«, begann Viktoria Brehm. »Als Einzelkind sucht man sich jemanden, der diese Rolle übernehmen kann. Da wir beide ohne Mutter aufgewachsen sind, hatten wir großen Bedarf nach der Nähe einer Gleichaltrigen.« Sie lehnte sich zurück und streckte die Hand nach den Knospen einer Magnolie aus. »Unsere Väter steckten bis über beide Ohren in Arbeit. Es gab viel zu tun Anfang der fünfziger Jahre. Die Kriegsschäden mussten beseitigt werden, von Grund auf, verstehen Sie? Den Erwachsenen boten sich tausend Möglichkeiten, man konnte viel erreichen mit Tatkraft und Geschick. Wer eine fundierte Ausbildung besaß, dem stand die Welt offen. Doch für zwei kleine Mädchen aus gutem Hause war Köln damals ein einsamer Ort. Es sei denn, sie taten sich zusammen.«
    »War diese Zeit nicht aufregend?«, fragte Photini. »Ich stelle mir die Stadt als einzigen Abenteuerspielplatz vor – trotz der Zerstörungen.«
    »Es war ziemlich gefährlich, wenn Sie das meinen, selbst nach Jahren. Deshalb durften wir nicht einfach so umherstreifen. Allein die vielen Bomben, die noch in der Erde lagen, Blindgänger. Vater hatte große Angst, dass uns etwas passiert.«
    Viktoria Brehm schenkte sich Mokka nach, mit sicherer Hand. Es war eine kultivierte Bewegung, aus einer Zeit, als das nachmittägliche Kaffeetrinken noch ein kleiner Luxus war, den man zelebrierte.
    »Also blieben wir zu Hause und kümmerten uns um den Garten.« Die Frau wies auf ihre Pflanzen. »Einiges, was Sie hier sehen, zogen wir damals aus Samen. Draußen an der hinteren Mauer steht eine Steineiche, die haben Heinrich und Gustav gesetzt.«
    »Ihre Väter?«
    »Heinrich Brehm und Gustav von Barth. Unser Grundstück war einer der grünsten Flecken von ganz Köln, als die Stadt noch aussah wie eine einzige Baustelle.«
    »Lag Köln nach dem Krieg nicht in Trümmern?«, fragte Photini.
    »Es war ausradiert, eine Mondlandschaft. Aber mit dem Wiederaufbau ging es unheimlich schnell voran. Als die Lebensmittelrationierungen aufgehoben wurden, war ich fünf, das weiß ich noch genau. Es war eine meiner ersten Erinnerungen.«
    »In welchem Jahr war das?«
    »Neunzehnhundertfünfzig.«
    »Wohnten Sie damals schon in diesem Haus?«
    »Ja. Und Eva

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