Das dunkle Erbe
gegenüber.« Viktoria Brehm hielt kurz inne. »Wir waren meistens hier bei uns. Die Villa musste noch renoviert werden. Gustav hat sie erst kurz nach dem Ende der Besatzungszeit gekauft.«
Photini gefiel diese Plauderei, aber sie konnte nicht ewig bei der gesprächigen Dame sitzen bleiben und ihren Geschichten lauschen, sosehr sie es auch genoss, mit jemandem aus Viktoria Brehms Generation zu sprechen, der nicht unentwegt bedauerte, dass früher alles besser gewesen sei.
»Vorhin haben Sie erwähnt, dass Sie und Eva einmal … getrennt waren.«
»Das hört sich etwas dramatisch an, oder nicht? Eva hatte in den sechziger Jahren so eine Phase, als sie volljährig wurde. Sie verließ Köln und ging nach Amerika. An die Ostküste, sie hat dort ihr Studium fortgeführt.« Viktoria Brehm lächelte. »Heute ist das ganz normal, aber damals war es außergewöhnlich, vor allem für eine Frau. Eva konnte nur ein paar Brocken Englisch. Ich habe mich immer gefragt, wie sie da drüben ganz allein zurechtkam.«
»Und Sie blieben hier?« Photini fiel die Frau ein, die vor kurzem in der Praxis gewesen war. Amerikanischer Akzent. Vielleicht gab es da einen Zusammenhang.
»Ich bin in Köln geboren. Es hat sich nie die Notwendigkeit ergeben wegzugehen.« Ein bitterer Zug um die Mundwinkel. »Man muss nicht durch die Weltgeschichte pilgern, um sein Leben in die richtigen Bahnen zu lenken. Ich habe das nie verstanden.«
Die Enttäuschung der Daheimgebliebenen. Viele Jugendfreundschaften gingen in die Brüche, wenn es einem von beiden einfiel, in die Fremde zu ziehen, und der andere dazu nicht bereit war. Photini hatte es am eigenen Leib erfahren. Sie, eine griechischstämmige Deutsche, die mit dem Rheinland enger verwurzelt war, als sie sich eingestehen wollte. Ihre beste Freundin hatte nach dem Abitur als Au-pair in Australien angefangen und war dort sesshaft geworden, während Photini auf die Polizeischule gegangen war. Sie hatten sich völlig aus den Augen verloren.
»Das kann ich Ihnen gut nachfühlen«, sagte sie schließlich. »Aber ich denke, das kommt auf den Einzelnen an.«
»1968 kehrte Eva nach Köln zurück. Ausgerechnet achtundsechzig! In diesem Jahr ging es hoch her, davon können Sie sich keine Vorstellung machen. Wir waren ein tolles Gespann.« Die Verdrossenheit über die alte Kränkung wich dem Drang, sich an die guten Perioden zu erinnern.
»Man kriegt es ja dauernd in den Medien mit, wie es damals zuging.«
»In kürzester Zeit wusste ich alles über den Vietnamkrieg.« Viktoria Brehm lebte sichtlich auf. »Wir gingen gemeinsam auf die Straße und demonstrierten gegen all die Regime, die es damals gab, auch in Portugal oder Griechenland. Es war eine wundervolle Zeit, alles war in Bewegung. Obwohl Köln nicht gerade ein Zentrum der Proteste war, dafür hätten wir nach Berlin gehen müssen.«
Sie blickte um sich, als sähe sie frühere Freunde an ihrer Seite. Doch da stand nur Grünzeug in hübschen Terrakottaschalen.
»Und zugleich wusste man, dass die Proteste nicht von Dauer waren. Dass man sich irgendwann hinsetzen und Bilanz ziehen würde.«
»Tatsächlich?«
»Mir war das von Anfang an klar.«
»Und Eva?«, fragte Photini.
»Die beruhigte sich auch wieder. Ihr Vater starb 1970 an den Folgen eines Schlaganfalls, das holte sie auf den Boden der Tatsachen zurück.« Viktoria Brehm atmete schwer aus. »Ein großer Verlust, er hat uns beide schwer getroffen.« Ein langer Blick ins Innere des Hauses. Die Umrisse der modernen Möbel im Halbdunkel spiegelten sich in den Scheiben des Wintergartens, eine schnörkellose Welt, still und glatt wie die Oberfläche eines Sees.
»So ist das mit Schicksalsschlägen«, fuhr sie schließlich fort. »Sie bringen uns dazu, den Toten ein ehrendes Angedenken zu bewahren und doch in die Zukunft zu schauen. Eva schloss ihr Studium ab und eröffnete in der Villa eine Arztpraxis.«
»Hat sie noch Kontakte aus ihrer Zeit in den USA?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Keine alten Studienkollegen, die sie einmal in Deutschland besuchten? Vielleicht Verwandte?«
»Ich glaube, sie hat in den ersten Jahren ein paar Briefe gewechselt mit einem jungen Mann aus Boston. Das schlief dann wohl ein. Über die Leute, mit denen sie in Amerika verkehrte, hat sie mir nicht viel erzählt, das behielt sie für sich. Wahrscheinlich war es auch besser so.« Ein gezwungenes Lächeln. »Es ist doch schön, wenn die Menschen bestimmte Erinnerungen ganz für sich allein haben. Man kann nicht
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