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Das dunkle Erbe

Das dunkle Erbe

Titel: Das dunkle Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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seit Tagen nichts anderes. Er, der so gern schwieg. »Wenn sie zuhört.«
     
    DER KOMMISSAR wirkte anders als gestern. Bestimmter und zugleich grüblerischer. Als habe er sein Urteil bereits gefällt und leide darunter. Leicht nach vorn geneigte Schultern. Tastende Bewegungen, mit denen er seine Unterlagen vor sich ausbreitete. Ein suchender, widerstrebender Blick, wie ihn Schwan von Patienten kannte, die alles über ihre Krankheit in Erfahrung gebracht hatten und sich am Ende unschlüssig waren, welcher Therapie sie den Vorzug geben sollten.
    Eine weitere Nacht würde er nicht in der Zelle verbringen. Niemals. Er war kein Tier, sondern ein Mensch mit allen Schwächen.
    Raupachs einleitende Höflichkeiten waren durchschaubar. Kleine Lügen, die Schwan in seinem Widerstand bestärkten. Dann kam das Ferienhaus in Föckinghausen zur Sprache. Scheibchenweise, um ihn aus der Reserve zu locken. Er stritt sogleich ab, am Freitag dort gewesen zu sein, wiederholte seine Aussage wortgetreu, er hatte sie sich genau eingeprägt.
    Mit solchen Nachfragen konnte die Polizei irgendwelche Einfaltspinsel verunsichern, aber nicht ihn. Schwan war Teil dieses Apparats geworden, hatte sich längst eingefühlt in die Logik der laufenden Ermittlung. Eine Einkreisungstaktik, Raupach hatte ihn am Vortag nur hingehalten und seine Offenheit ausgenutzt. Währenddessen waren die Helfer des Kommissars ausgeschwärmt, um noch mehr belastendes Material gegen ihn zusammenzutragen, wie Ungeziefer, das sich über einen Misthaufen hermacht.
    Und jetzt war es offenbar so weit. Raupach hatte endlich etwas in der Hand. Nach gegebener Zeit würde er seinen Trumpf ausspielen. So dachte er sich das wohl.
    Welche Kleidungsstücke Schwan am Tag der Tat getragen habe? Wo er zuletzt mit Eva gesprochen habe? In ihrer oder seiner Praxis? Oder in Evas Wohnung?
    Sie verstanden nichts. Schwan gab vor, sich nicht mehr zu erinnern.
    Fragen zu seinem Auto. Wann er es zuletzt saubergemacht habe? Was er darin transportiere? Was er verwende, um den Kofferraum nicht zu beschmutzen? Ob er auch mal im Wald spazieren gehe?
    Schwan blickte zur Seite.
    Dann zeigte Raupach ihm die Fotos.
    Der Schnitt an der Kehle. Der nach hinten gekippte Kopf, so dass man das Opfer gerade noch erkennen konnte.
    Schwan schloss die Augen. Keinen Satz, keinen Laut zu viel sagen. Besser gar nichts sagen.
    Der Psychologe kam hinzu und leistete dem Kommissar Schützenhilfe. Sie türmten ein grausiges Detail aufs andere und sahen ihn dabei unentwegt an. Warteten, fragten. Fragten, warteten. Immer dasselbe in Variation. Wer habe zuerst dran glauben müssen? Wie war die Reihenfolge? Eva zuletzt? Bei ihr war es schwieriger gewesen, deswegen der Stich in den Hals, sie habe sich wohl gewehrt? Fürs Protokoll: Man wolle hier nichts suggerieren, sondern nur einen potenziellen Tathergang beschreiben.
    Schwan holte Atem. Mehrmals, damit er Luft bekam. Es war stickig in dem Raum, er brauchte mehr Sauerstoff.
    Manche Menschen verloren aus heiterem Himmel die Kontrolle, sagte der Psychologe. Die Sicherungen brannten einem durch. Leider komme so etwas immer häufiger vor. Danach seien die Täter oft nicht mehr in der Lage, das Geschehen richtig einzuordnen, sie wollten es nicht wahrhaben. Deshalb füllten sie die Zeit der Ausfallserscheinung mit erdachten und durchaus möglichen Handlungen. So könne das auch bei ihm, Schwan, abgelaufen sein. Vielleicht hatte ihn seine Autofahrt am Freitag doch ins Sauerland geführt, wie er ursprünglich beabsichtigt habe.
    Es sei jedoch ein gutes Zeichen, dass er Reue empfinde. Ein Teil von ihm wisse, dass er etwas Falsches getan habe. Mit seiner Hilfe wären sie vielleicht sogar imstande herauszufinden, wie es so weit kam. Es habe wohl etwas mit seinem Verhältnis zu Frauen zu tun.
    Der Kommissar verfolgte die Erklärungen des Psychologen mit sichtlichem Unbehagen. Wenn Schwan jetzt redete, fügte er hinzu, könne sich das strafmildernd auswirken. Es würde die Dauer der Haft sicher um einige Jahre verkürzen.
    Einige Jahre.
    Schwan glitt von seinem Stuhl. Wie ein Stapel Bücher, der, aus dem Gleichgewicht gebracht, in sich zusammenfiel.
    Jakub fühlte den Puls. Er brachte Schwan in eine stabile Seitenlage und rief den Notarzt.
    Raupach griff ebenfalls zum Telefon und ließ sich mit dem leitenden Medizinaldirektor verbinden. Jetzt hieß es schnell sein, falls Schwan simulierte. Die Zeit der Nettigkeiten war vorbei.
    Eine Stunde später diagnostizierte der Medizinaldirektor

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