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Das dunkle Erbe

Das dunkle Erbe

Titel: Das dunkle Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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geheiratet, er war einsam. Von Evas Studium versprach er sich mittlerweile nicht mehr viel. Er wollte einfach nur, dass sie bei ihm blieb. Und gerade damit spielte Eva. Seine Gefühle waren für sie wie eine Versicherungspolice. Als er 1970 einen Schlaganfall erlitt, damals war er noch nicht mal sechzig Jahre alt, war es zu spät, sich zu versöhnen.
    Damit endete Viktoria Brehm. Der lange Vortrag hatte sie erschöpft. Sie entschuldigte sich und holte Getränke aus der Küche. Dort blieb sie eine Weile. Raupach kannte diesen Reflex, die Scham, wenn man Fremden so viel Privates offenbart hat. Dann wollte man ein wenig für sich sein. Viktoria Brehm war zwar nicht unmittelbar betroffen gewesen, aber sie hatte eine Menge von dieser Vater-Tochter-Geschichte mitgekriegt. Wie hatte sie sich dabei gefühlt? Als Evas Komplizin? Als Freundin der Familie?
    Photini half der Frau, Mineralwasser und Gläser hereinzutragen. »Dieses Erbe, von dem Sie gesprochen haben. Worin bestand es?«
    »Eva erhielt die Villa und ein ausreichendes Vermögen.« Viktoria Brehm überließ es der jungen Polizistin, das Wasser einzuschenken. »Außerdem vermachte Gustav den Krankenhäusern, an denen er tätig gewesen war, große Summen.« Sie versuchte zu lächeln, wie nach einer gelungenen Anekdote. »Aber ich beklage mich nicht. Auch mein Vater war ein vermögender Mann. Um Geld musste ich mich nie sorgen, ich habe immer gut gewirtschaftet.«
    Raupach legte Holz nach, das Feuer war fast heruntergebrannt. »Wie verhielten Sie sich bei diesem Familienzwist?«
    »Neutral.«
    »Haben Sie nicht zu Eva gehalten?«
    »Natürlich war ich auf ihrer Seite«, widersprach Viktoria. »Aber ich verstand auch Gustav. Sie waren beide Dickschädel.«
    »Wissen Sie, was der Doktor während des Krieges gemacht hat?«, fragte Photini.
    »Er war Arzt in der Wehrmacht, bei einer regulären Einheit. Warum?«
    »Wir möchten alles ausleuchten, auch Dinge, die einen Schatten werfen.« Raupach stand auf und schaltete die Deckenbeleuchtung ein. Ende des Monologs. Der Lüster erzeugte ein gedämpftes Licht, er wurde selten abgestaubt.
    »Glauben Sie, Gustav hat sich während des Krieges etwas zuschulden kommen lassen?« Viktoria Brehm blinzelte. »Bestimmt nicht, im Gegenteil. Eva machte das seinerzeit zum Thema, als sie Gustav verletzen wollte. Aber er hat einfach nur alles getan, um sich und seine Leute da heil wieder rauszubringen. Er machte den ganzen Krieg mit, Frankreichfeldzug, Stationierung, dann kam er an die Ostfront, wurde verwundet, zu Hause erholte er sich wieder. Bei der Invasion in der Normandie geriet er dann in Gefangenschaft.«
    »Er war also bei der kämpfenden Truppe?« Raupach kannte sich mit diesem Teil der Geschichte ein bisschen aus. Sein Großvater hatte Ähnliches mitgemacht, mit dem Unterschied, dass er am Ärmelkanal gefallen war. Als Unteroffizier, ohne Parteiabzeichen. Wenn Raupach Filme über die Invasion sah, Heldenspektakel aus Sicht der Amerikaner, wusste er nicht, was er empfinden sollte. Erleichterung über die geglückte Befreiung von den Nazis? Oder Bedauern, dass sein Großvater nicht überlebt hatte, dass er am Krieg überhaupt beteiligt gewesen war? Eine Mischung aus beidem, nahm er an.
    »Gustav hatte sich nichts vorzuwerfen«, sagte Viktoria Brehm. »Er litt an dieser Zeit, fühlte sich missbraucht. Für militärische Zwecke, um das klarzustellen. Mit anderen Dingen kam er nicht in Berührung.«
    »Mit dem Holocaust?« Photini widerstrebten Umschreibungen.
    »Genau. Damit hatten wir nie etwas zu tun.«
    »Wir?«
    »Unsere Familien. Gustav und Heinrich.«
    »Die beiden waren befreundet«, fügte Photini hinzu. »Aus Kriegstagen?«
    »Mein Vater blieb Zivilist, an der Heimatfront, wie es damals hieß.« Viktoria Brehm schob das Kinn vor.
    »In welcher Funktion?«, wollte Raupach wissen.
    »Als Architekt und Statiker. Da gab es jede Menge zu tun, wegen der vielen Zerstörungen. 1940 ging es los. Später kam der sogenannte Tausend-Bomber-Angriff, im Mai 1942. Heinrich wurde überall in der Stadt gebraucht. Er saß nicht zu Hause herum und wartete ab, bis alles vorbei war. Mein Vater war mittendrin.«
    Diese Kriegserinnerungen brachten sie momentan nicht weiter, dachte Raupach. Viktoria Brehm hatte sich schon sehr kooperativ gezeigt. Sie hatten ein gutes Bild von Eva und Gustav von Barth gewonnen.
    »Wenn wir noch mehr Fragen haben …«, begann er und stand auf.
    »Sie dürfen jederzeit wiederkommen.«
    Viktoria Brehm brachte die

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