Das dunkle Erbe
geraderückte und mit den Fingerspitzen durch die tadellose Frisur fuhr. Bernhard Schwan traute sie immer noch keinen Mord zu.
Von größeren Vermögenswerten ihrer Arbeitgeberin wusste Frau Rosinsky nichts, und sie meinte, einen guten Überblick über Evas Finanzen zu haben. Falls die Ärztin ein verborgenes Depot besessen hatte, wäre ihr das kaum entgangen. Alle geschäftlichen Briefe liefen über ihren Schreibtisch, sie kannte die Kontostände.
Über Gustav von Barth wusste sie wenig zu sagen, nach seinem Tod schien er in Evas Leben keine besondere Rolle gespielt zu haben. Zu Viktoria Brehm pflegte Frau Rosinsky ein gutes Verhältnis, weil ihr klar war, dass Eva sonst niemanden hatte. Manchmal kam es zwischen den beiden Frauen zu Meinungsverschiedenheiten, die aber schnell beendet waren. Es ging zum Beispiel um Evas Hang zum Sozialen, ihre Selbstausbeutung. Viktoria kritisierte das, konnte kein Verständnis dafür aufbringen und riet Eva, sich mehr Zeit für ihr eigenes Leben zu nehmen. Wie das so ist zwischen Menschen, die sich lange kennen. Bestimmte Dinge kommen immer wieder hoch. Nach so einer Unterhaltung schaute Viktoria mit einer Schachtel Pralinen vorbei, und die Sache war vergessen. Mehr hatte Frau Rosinsky nicht mitgekriegt.
Photini übernahm es, die alte Arzthelferin zu dem Einbruch in die Villa zu vernehmen. Sie interpretierte den Vorfall als Fortsetzung all der unerklärlichen Geschehnisse, die das Haus aus den Fugen gerieten ließen, so drückte sie es aus. Photini ließ nicht locker, stellte Fragen, die der Einbrecher oder ein Helfer vielleicht auf verräterische Weise beantworten würden: zum Eindringen mit Hilfe eines Dietrichs. Oder zum Ziel im ersten Stock, dem Biedermeier-Schreibtisch.
Frau Rosinsky ließ nicht erkennen, dass sie von alledem etwas wusste. Sie hatte sogar ein Alibi für die vergangene Nacht, konnte genau wiedergeben, was im Fernsehen gelaufen war, weil sie keinen Schlaf gefunden hatte, alles Schund, aber es lenkte sie ab. Das musste Photini zwar gegenrecherchieren, aber es klang überzeugend. Raupach schaltete sich ein und brachte mit allerlei Umschreibungen das Geheimfach und dessen Inhalt zur Sprache. Nichts.
In einem Punkt konnte Frau Rosinsky den Polizisten allerdings weiterhelfen. Sie beschrieb Sharon Springman so genau, als sei sie vom Erkennungsdienst. Die Linien ihres Gesichts, seine Zeichnung: Augenbrauen, Lider, Form der Nase und des Mundes, Wangenknochen und Kinn, die umrahmende Frisur. Raupach rief einen Spezialisten. Er sollte das bereits bestehende Phantombild mit Hilfe der Zeugin präzisieren. Die Fahndung lief bereits.
Schließlich empfahl Raupach der Frau, therapeutische Hilfe in Erwägung zu ziehen, die Kosten würde die Polizei im Zuge des Opferschutzes übernehmen.
Sie lehnte ab mit der üblichen Begründung von Leuten, die stark wirken wollen: Es sei ihre Sache, wie sie dem Tod begegne. Irgendwann klopfe er auch an ihre Tür.
»Wissen Sie schon, was Sie jetzt tun?« Photini mochte diese Frau, ihre angelernte Härte, die Effizienz, mit der sie Auskunft gab und einen Mantel über die Kluft in ihrem Innern breitete.
»Wenn Doktor Schwan nicht weitermachen kann, ziehe ich vielleicht zu meinen Verwandten in Amerika. Nach Mobile, Alabama. Mein verstorbener Mann stammt von dort.«
Ohne übertriebenes Interesse zu zeigen, hakte Raupach nach.
Matthew Rosinsky war nur ein knappes Jahr mit Frieda Rosinsky, geborene Engels, verheiratet gewesen. 1972, sie hatten sich bei einem Ball in Köln kennengelernt. Dann wurde er als Angehöriger der US-Streitkräfte aus Deutschland abkommandiert und starb kurz darauf bei einem Einsatz in Südostasien.
»So hat man es mir damals gesagt«, schloss Frieda. Seit ihrer Ehe war sie selten mit ihrem Vornamen angesprochen worden.
VOR DER Rückfahrt tätigte Raupach einige Anrufe. Im Laufe des Tages hatte Höttges zusammen mit den Kollegen Reintgen und Hilgers drei von den vier Arzthelferinnen vernommen, die für die Ärzte in der Villa arbeiteten, und war kein Stück weitergekommen. Die jungen Frauen äußerten zwar jede Menge Vermutungen, aber das fiel alles in die Kategorie Klatsch und Tratsch. Dass Schwan seine Frau nur wegen des Geldes geheiratet hatte, gehörte noch zu den halbwegs ernstzunehmenden Aussagen.
Eine Arzthelferin fehlte Höttges noch, Karen Baltes. Sie war zu ihrem Freund nach Bergheim gefahren und derzeit nicht einmal über Handy zu erreichen.
Schwans Zustand war unverändert, er hatte einfach
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