Das dunkle Erbe
gewesen sein.
»Irgendwelche Asoziale, die mitgekriegt haben, dass die Villa leer steht«, meinte Viktoria Brehm.
»Ungewöhnlich für Marienburg.«
»Eva hatte viele zweifelhafte Kontakte.« Viktoria Brehm setzte sich wieder hin. Im Schein des Feuers wirkte sie aufgeweckter.
»Lebte sie nicht eher zurückgezogen?«
»Man kann nicht ausschließen, dass man beobachtet wird. Diese Leute werden immer dreister.«
»Sicher sind Sie mit Eva von Barths Wohnverhältnissen vertraut«, fuhr Raupach fort. »Es ist nämlich so, wir haben etwas Seltsames gefunden.«
»Ja?«
»Eine Liste.«
»Wovon?«
»Das kann ich nicht genau sagen. Unsere Spezialisten müssen das Schriftstück untersuchen.« Raupach ging zum Kamin und schob ein Holzscheit in eine bessere Position. »Wir sind uns aber ziemlich sicher, dass wir einem gut gehüteten Geheimnis auf der Spur sind. Hat Ihre Freundin Ihnen etwas davon gesagt?«
»Wo?«
»Wie bitte?«
»Wo haben Sie dieses Schriftstück gefunden?« Viktoria Brehm war sichtlich angespannt.
»Im Schreibtisch.«
»Davon wusste ich nichts.«
»Dann hat Eva wirklich niemandem vertraut.« Raupach ließ es bewusst im Allgemeinen. »Nur sich selbst.«
Viktoria Brehm betrachtete die hochzüngelnden Flammen des Kaminfeuers. »Ich habe so etwas geahnt. Sie hat nie viel erzählt von früher. Es gab immer diesen Rest Ungewissheit, wissen Sie, so ein Loch, wenn der andere nicht mehr weiterredet oder mitten im Satz abbricht.«
»Hat Sie das verletzt?«
»Aber nein. Jeder Mensch braucht seinen Freiraum, Rückzugsmöglichkeiten.«
»Sie kannten doch Gustav von Barth«, fuhr Raupach an den Kaminsims gelehnt fort. »Wie war das Verhältnis zwischen Vater und Tochter?«
»Schwierig.«
»Hatten die beiden Differenzen?«
»So kann man es ausdrücken.«
»Sagen Sie uns mehr darüber?«
»Spielt das eine Rolle für Ihre Nachforschungen?«, fragte Viktoria Brehm.
»Ich möchte verstehen, was in Evas Leben wichtig gewesen war. Egal, wie lange es zurückliegt.«
VIKTORIA BREHM sah sich wortlos im Zimmer um. Es war ein hoher, langgestreckter Raum mit der Feuerstelle am Kopfende, viel zu groß für eine Frau, die allein lebte und nicht mehr gut auf den Beinen war – obwohl sie noch nicht in fortgeschrittenem Alter war. Die Möbel passten perfekt zueinander, wuchtig und zugleich modern, ein Schrank und zwei Vitrinen, sie enthielten Silbergeschirr, Gläser und Porzellan. Eine dunkelgrüne Tapete, wie zur Fortsetzung des Wintergartens. An der Decke ein Lüster, die Facetten des Kristallglases fingen jede Regung ein. Da war nichts über die Jahre Gewachsenes. Wann immer dieses Ensemble zusammengestellt worden war, es wirkte, als habe sich seither nicht das Geringste verändert. Eine Vibration, vermutlich von einem vorbeifahrenden Lastwagen, erschütterte die Vitrinen. Es klapperte leise.
Dann erzählte sie. Mit sicheren Worten, seit langem zurechtgelegt für einen Zeitpunkt, der all die Jahre nie kommen wollte, aber jetzt mit diesen Polizisten über die Schwelle getreten war. Wie sie und Eva aufgewachsen waren, geboren im letzten Kriegsjahr, umgeben von Ruinen. Unzertrennlich seien sie gewesen und anfangs ganz gleich, lange fliegende Zöpfe, ungetrübte Kinderaugen, neugierig auf alles und jeden. Beide mutterlos, Eva durch einen Luftangriff kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner, Viktoria durch Komplikationen bei der Entbindung.
Die Väter blieben Witwer und stürzten sich in ihre Arbeit, Heinrich Brehm als Architekt und Gustav von Barth als Frauenarzt, zuerst mit eigener Praxis in der Innenstadt, ab 1956 dann am St.-Vinzenz-Hospital in Nippes. Nach der unsteten Zeit Anfang der fünfziger Jahre, in denen die beiden Mädchen die meiste Zeit miteinander verbrachten und von wechselnden Haushälterinnen betreut wurden, blieb Gustav dann wieder mehr zu Hause und kümmerte sich um die Erziehung seiner Tochter.
Er war ein gewissenhafter Mann, überkorrekt, wie es damals verbreitet war in Deutschland, als bekäme man die im Krieg zugrunde gerichteten Werte durch Pedanterie wieder in den Griff.
Gustav erkannte, dass er Eva vernachlässigt hatte, und ließ sie in beschränktem Umfang Anteil nehmen an seinem Beruf. Das war seine Art, ihr zu zeigen, wie wichtig sie ihm war.
Es ging eine Weile gut, bis Eva Anfang der sechziger Jahre ins Teenageralter kam und sich gegen ihren Vater auflehnte, aus reiner Lust am Widerspruch. Sie entfernte sich auch von Viktoria, die vernünftiger war und nicht jeden Blödsinn
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