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Das dunkle Erbe

Das dunkle Erbe

Titel: Das dunkle Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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Ermittler zur Tür. »Finden Sie Evas Mörder.«
     
    PHOTINI GING neben Raupach über die abendstille Straße. Die benachbarten Häuser wirkten geradezu unbewohnt, zumindest brannten kaum Lichter, eines war teilweise eingerüstet, die Besitzer waren während der Renovierungsarbeiten auf Gran Canaria. Nur in der Ärztevilla schien etwas los zu sein, wie man aufgrund der parkenden Polizeiwagen sah. Der Tod macht am Anfang immer viel Aufhebens. Bis er über Nacht verschwindet und nichts hinterlässt als offene Schubladen und ein unbeheiztes Gemäuer. Irgendwann steht alles zum Verkauf.
    »Sie verteidigt Gustav von Barth.«
    »Diese Leute standen sich sehr nahe«, sagte Raupach. »Es gab viel, was sie verband.«
    »Sie weiß eine Menge, je weiter es zurückliegt, desto besser ist sie darüber informiert. Aber von der seltsamen Liste mit den roten Anfangsbuchstaben hat sie keine Ahnung.«
    »Ich denke, Eva von Barth hat ihr einiges verschwiegen.«
    »Aber sie waren doch die besten Freundinnen«, wandte Photini ein.
    »Was heißt das schon? Vor den Menschen, mit denen man am engsten zusammen ist, hat man manchmal die größten Geheimnisse.« Raupach öffnete die Haustür. »Vergiss nicht, Viktoria Brehm hat uns erzählt, wie sich die Dinge aus ihrer Sicht entwickelt haben. Was hat sie weggelassen, abgewandelt oder einfach vergessen? Ganz zu schweigen von der Zeit während des Krieges, da war sie schließlich nicht dabei, das weiß sie nur von Gustav selbst oder von Eva, möglicherweise auch von Heinrich. Wenn man die Perspektive verändert, ergibt sich vielleicht ein ganz anderes Bild.«
    »Und wie sollen wir mehr herausfinden? Außer Viktoria sind doch alle tot.«
    »Mehr oder weniger.«
    Inzwischen war Frau Rosinsky in der Villa eingetroffen. Sie hatte den ganzen Tag über Einkäufe und Besorgungen erledigt, zu denen sie sonst selten kam. Ein Kriminaltechniker, der den Büroplatz hinter der Empfangstheke auf Spuren des Einbruchs untersuchte, hatte sie von Evas Tod unterrichtet und ins Wartezimmer geführt.
    Als sie Photini hereinkommen sah, hob sie kurz den Kopf. Ein erkennendes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Dann betrachtete sie wieder den Kunstdruck an der Wand, ein Bild von Vasarely, klare Formen, Kreise in einem Gitternetz, eine geometrische Spielerei. Davon hing eine ganze Serie in der Praxis, in verschiedenen Farbtönen. Es sollte auf die Patienten beruhigend wirken.
    Photini stellte Raupach vor, sie setzten sich dazu. Auf dem Tisch in der Mitte des Raumes stapelten sich allerlei Zeitschriften. Zuoberst lag das Schild, welches Frau Rosinsky am gestrigen Tag an die Eingangstür gehängt hatte. Dass die Doppelpraxis geschlossen sei – vorübergehend, davon war sie überzeugt gewesen. Wenn sie das Schild wieder wegnahm, so hatte sie angenommen, würde wieder Normalität einkehren, wie nach einem Urlaub. Die Ärzte setzten den Betrieb fort wie eh und je, und sie hielt alles zusammen hinter ihrem Computerbildschirm, vereinbarte Termine, koordinierte die Patientengespräche und Behandlungen, gab Auskunft, zog die Praxisgebühr ein, machte die monatliche Abrechnung.
    Und jetzt, während Satz für Satz aus ihr hervorquoll, begann sie zu realisieren, dass die festgefügte Welt ihres Berufslebens nicht mehr existierte. Es war vorbei. Sollte sie sich in ihrem Alter eine neue Anstellung suchen? Da konnte sie gleich in Rente gehen. Aufhören zu arbeiten. Ihre Sachen in eine Kiste packen.
    Dann ertappte sie sich dabei, dass sie bei all dem Elend nur an sich gedacht hatte. Sie erkundigte sich nach den Umständen von Evas Tod. Raupach teilte ihr die nötigsten Einzelheiten mit. Sie hielt sich die Hand vor den Mund und schüttelte immer wieder den Kopf. Sie konnte es nicht glauben.
    »Seit wann arbeiten Sie hier?«, fragte Raupach.
    »Von Anfang an, seit Eva begonnen hat, die Praxis aufzubauen.« Frau Rosinsky nannte die Ärztin beim Vornamen, als habe ihr Tod Formalitäten überflüssig gemacht.
    »1971 war das. Eva musste noch ihren Facharzt machen, zu zweit haben wir nach und nach alles eingerichtet, modernisiert.«
    Doch sie war nicht mehr in der Verfassung zu plaudern und nach der ersten Bestürzung auf die letzten fünfundreißig Jahre zurückzublicken, wie es Viktoria Brehm gelungen war. Raupach und Photini konnten nur einige punktuelle Fragen stellen, auf die sie knappe sachliche Repliken erhielten. Frau Rosinsky fasste ihre Gefühle nicht in Worte, sondern zeigte sie durch die Art, wie sie ihren Stuhl immer wieder

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