Das dunkle Erbe
forma, so viel Geld hätte er damals gar nicht aufbringen können. Die Fabrik wurde umbenannt, aber ansonsten blieb alles beim Alten. Das heißt, Springmann traf weiterhin alle wichtigen Entscheidungen, und Großvater führte sie aus. Die Gewinne flossen auf ein Konto, auf das auch Springmann Zugriff hatte, er konnte frei darüber verfügen. Eine ganze Weile ging das gut, aber dann kam in Deutschland der Verdacht auf, dass einige jüdische Betriebe nur getarnt seien.«
»Dass die Arisierung nur vorgeschoben war«, ergänzte Raupach, da Sylvia Feichtner das Wort vermied. Man musste das Kind beim Namen nennen. Arisierung, die Enteignung der Juden im Deutschen Reich. Die Nazis sagten auch Entjudung dazu, das klang noch übler, wie Schädlingsbekämpfung.
»Es gab ein Gesetz gegen diese Form von Tarnung, im April 1938. Daraufhin zog sich Springmann ganz aus dem Geschäft zurück. Er beschloss, seinen gesamten Besitz zu Geld zu machen und auszuwandern, das war noch vor der Reichspogromnacht. Viel konnte er aber nicht mitnehmen, die Nazis langten damals kräftig hin und forderten von den Juden hohe Abgaben für die Flucht. Im Grunde war das der reine Diebstahl. Deutsche Käufer mussten nur Spottpreise für Grundstücke und dergleichen bezahlen. Am Ende blieb Springmann so gut wie nichts mehr. Großvater hat also nicht von seiner Vertreibung profitiert.«
»Aber die Fabrik war auf ihn übergegangen.«
»Wie ich schon sagte, davon hatte er nicht mehr viel. Meine Familie auch nicht.«
»Und die Villa in Marienburg?«, fragte Raupach.
»Springmann hätte sie nur weit unter Wert verkaufen können. Das wollte er natürlich nicht. Mein Großvater traf mit ihm eine Vereinbarung: Er übernahm die Villa zu einem symbolischen Preis. Irgendwann musste der braune Spuk zu Ende gehen, hoffte Springmann. Dann wollte er aus dem Exil zurückkehren, die Fabrik weiterführen und wieder in das Haus einziehen. Großvater versprach, in seiner Abwesenheit alles nach bestem Wissen zu verwalten.«
»Darauf ließ sich Springmann ein?«
»Was blieb ihm übrig? Er konnte nichts mitnehmen, ein paar Koffer, das war alles.«
»Was wurde aus dieser Vereinbarung?«
»Im Grunde wurde sie hinfällig, weil meine Großeltern starben und eh alles verloren war. Von Springmann haben wir nie wieder etwas gehört. Ich bin mir aber sicher, dass Großvater zu seinem Wort gestanden hätte. Damals gab es auch viele Ariseure, die haben die jüdischen Vorbesitzer rücksichtslos aus dem Geschäft gedrängt. Es war eine goldene Gelegenheit, billig an Firmenvermögen und Immobilien zu kommen, und bevor alles an den Staat fiel, wer ließ sich das entgehen? So war mein Großvater nicht. Wenn ich mir vorstelle, wer heute in Köln noch auf jüdischem Eigentum sitzt, trotz Wiedergutmachung. Die vielen Juden, die in den Lagern umkamen, ganze Familien. Wo kein Kläger …«
»Woher wissen Sie das alles?«
»Mein Vater hat es nach und nach herausgefunden. Über Großvater waren wir immer verschiedener Meinung, aber schließlich war es unsere Vergangenheit, unsere Herkunft, in die hat er sich verbissen. Gesinnungsmäßig veränderte sich mein Vater leider nie, ich meine, er stand immer ziemlich weit rechts. Das Kriegsende empfand er als einzige Schmach. Wegen seiner Verwundung konnte er nicht mehr eingreifen, sein älterer Bruder war in Afrika gefallen, in der Wüste, er selber hatte nur Dienst bei der Flak getan, weil er noch so jung war. Irgendwie fühlte er sich wohl betrogen.«
»Um was denn?«
»Weil das alles keinen Sinn gehabt hatte, aus seiner Sicht. Die Sache mit der weißen Fahne setzte dem noch die Krone auf. Bei seinen Kameradschaftstreffen log er deswegen. Da hat er aus Großvater ein Bombenopfer gemacht.«
»Er hätte auch stolz auf ihn sein können«, meinte Rau »Aber Großvater war tot, und seine alten Kumpel lebten noch, die standen ihm näher. Einer von denen hat ihm eine Stelle in der Verwaltung verschafft, beim Finanzamt. Er heiratete, relativ spät. Dann kam ich. Irgendwann überschritt er den Punkt, an dem er die Dinge anders hätte betrachten können.«
Diesen Punkt kann man nie überschreiten, fand Raupach. Es gab Leute aus Gottlieb Wenzels Generation, die ihre Einstellung zum Krieg und zu den Nazis früher oder später revidierten. Doch viele hielten fest an der Disziplin, die ihnen einst eingebläut worden war, an den Lügen, den falschen Versprechungen, der Ideologie, den verzerrten Werten, dem Stolz auf erlittene Entbehrungen, den
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