Das dunkle Erbe
Mordfälle. Gibt’s etwas Neues?«
»Nichts Berufliches. Privatsache.«
Sie überquerten den Hansaring. Sharon fiel auf, dass Raupach sein Bein leicht nachzog. »Haben Sie sich verletzt?«
»Wie?«
»Sie humpeln.«
»Das mach ich immer, wenn ich in Gedanken bin.« Er schaute nach vorn und versuchte, normal zu gehen. »Was Ihnen alles auffällt«, wunderte er sich.
»Wollen Sie mich nicht weiter ausfragen? Über meine Familie?«
»Wollen Sie mir noch etwas erzählen?«
»Ich dränge mich nicht auf«, sagte sie und fügte mit gedämpfter Stimme hinzu: »Tut mir leid, wenn ich nerve.«
Sie erreichten das Lokal und bekamen durch Zufall zwei Plätze, weil andere Gäste abgesagt hatten. Der Kellner zündete eine Kerze an. Er sah auf den ersten Blick, dass Raupach Polizist war. Kein Schickimicki-Bulle, der dauernd in Edelrestaurants verkehrte, aber auch kein Plattfuß, der sich nur von Currywürsten ernährte. Es schien ihm vollkommen gleichgültig zu sein, wo er sich befand. Schwer einzuschätzen, welchen Rang er in der Hackordnung einnahm.
»Glück gehabt.« Sharon schlug die Speisekarte auf. »Ich habe einen Riesenhunger. Sie auch?«
»Hm.«
»Es war ein anstrengender Tag. Mit überraschenden Wendungen.« Sie zwinkerte ihm zu.
»So geht es mir andauernd. Nicht zu ändern.«
»Würden Sie das denn gern?«
»Ich muss alles nehmen, wie es kommt«, brummte er.
»Lean back and enjoy! Ich verspreche, nicht mehr über Ihren Beruf zu reden.« Aus irgendeinem Grund war Raupachs Stimmung auf den Nullpunkt gesunken. Er war kalt und wortkarg wie ein Fisch. Aber vielleicht war das sein wahrer Charakter, wenn das Forschende, Spekulierende zurücktrat?
»Ich glaube, ich nehme die Red Snapper-Sticks in Tempurateig«, sagte sie. »Und davor das Zitronengrassüppchen.«
»Ist das Essen hier koscher?«
Sie lachte. »Ich sehe das nicht so streng.«
Obwohl es ein Fischlokal war, fand Raupach keinen Hering auf der Karte. Die meisten Gerichte waren aufwendige Kreationen, die man nur mit Hilfe eines Gourmet-Handbuchs verstand. Explodierter Kalbsschwanz mit Krakenbolognese, so etwas.
Inzwischen fühlte er sich schrecklich müde, am liebsten wollte er nach Hause in sein Bett. Aber das wäre unhöflich, außerdem hatte Felix recht mit seinen Anzüglichkeiten. Sharon war eine interessante Frau, sie sah gut aus, war weltgewandt, gebildet, neugierig. Ihre Einladung stellte wohl so etwas wie ein Rendezvous dar, sie verhielt sich ganz so. Er brauchte etwas, um wieder wach zu werden.
Der Kellner kam und schlug einen Aperitif vor. Raupach lehnte ab.
»Wissen Sie schon, was Sie möchten?«, fragte Sharon.
»Ein Dutzend Austern. Oder eineinhalb? Und Bulots. Mit Mayonnaise. Und viel Weißbrot, bitte.« Bulots waren das einzige Nichtpazifische auf der Karte. Raupach liebte diese Meeresschnecken. Er hätte nie gedacht, dass sie in Köln aufzutreiben waren.
»Für Austern ist momentan genau die richtige Zeit.« Der Kellner wirkte hochbefriedigt. »Wir servieren sie mit einer speziellen Vinaigrette.«
»Schön.«
Sharon nickte. »Ich schließe mich an. Bringen Sie uns eine ganze Platte davon. Und einen Weißwein, den Sie für passend halten.«
»Und stilles Wasser«, setzte Raupach hinzu.
»Gern.« Der Kellner verschwand.
»Sie sind ein Feinschmecker«, meinte Sharon.
»Erinnerungen, der Geschmack des Meeres. Austern sind auch nur bessere Muscheln.« Er lächelte. »Wenn Sie mich schon einladen, muss ich das ausnutzen.«
»Ihre Laune bessert sich.«
»Das wäre gut.«
»Was ist los?«
Raupach drehte sich ein wenig weg. »Ein Freund von mir hat Probleme mit der Gesundheit. Sprechen wir über etwas anderes.«
»In Ordnung.« Sie hielt inne, wollte nicht aufdringlich wirken. Vielleicht gab eine kleine Pause dem Abend eine persönlichere Richtung. Der Kommissar machte den Eindruck, als sei es ihm ganz recht, seinen gewohnten Trott einmal zu verlassen. Sie hatte genau registriert, wie er sie nach dem Umkleiden betrachtet hatte und die Anspannung aus seinem Gesicht gewichen war. Als wären seine Erwartungen aufs angenehmste übertroffen worden.
»Was machen Sie, wenn Sie nicht hinter irgendwelchen Mördern her sind?«, fragte sie schließlich.
»Ich male.«
»Tatsächlich?«
»Nur zur Entspannung. Und nicht besonders gut.«
»Welche Motive suchen Sie sich aus?«
»Landschaften. Natur. Die Jahreszeiten«, sagte er langsam. »Aber ich male nichts ab. Was ich draußen so sehe, ist immer nur ein Ausgangspunkt.«
»Keine
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