Das dunkle Erbe
schwieg. Wenzel fand kurz vor Beginn des Holocaust die jüdische Sammlung. Was sollte er damit anfangen in einem Land, in dem alles Jüdische als unberührbar galt und einem nichts als Scherereien und Unglück brachte?«
»Und verboten war.«
»Dann fand Marsh die Sammlung und zugleich die Bilder. Er musste annehmen, dass beides einem reichen Juden gehörte oder irgendwie zusammengeklaut war.«
»Er hätte es einfach der Militärpolizei melden können«, schlug Raupach vor.
Sharon fuhr die Linien des skizzierten Grundrisses nach, ohne sie zu verwischen. »Die Menschen verändern sich, wenn sie etwas Wertvolles entdecken, Kostbarkeiten, von denen sie meinen, dass nur sie davon wissen. Sie meinen, als Finder hätten sie einen Anspruch darauf.«
»Die Habgier erwacht?«
»Oder die Angst, dass ein schrecklicher Verdacht auf sie fällt. So muss es bei Gustav von Barth gewesen sein.«
»Der Mann stand in gutem Ruf«, wandte Raupach ein. »Warum vertuschte er die Sache?«
»Die Entnazifizierung war noch im Gang. Es waren grobgestrickte Zeiten. Der Schatz warf jede Menge Fragen auf. Gustav wollte einfach keine Schwierigkeiten bekommen.«
Raupach nickte. »Der Drang, so einem komplexen Fall auf den Grund zu gehen, war damals noch nicht so stark ausgeprägt wie heute. Man fing ganz neu an, Gustav von Barth eröffnete eine Praxis, er suchte ein Heim für sich und seine Tochter. Die Villa musste ihm als Glücksfall erschienen sein.«
»Ich habe mir die Holzbohlen im Keller genau angeschaut«, sagte Sharon. »Die könnten aus den fünfziger Jahren stammen. Darunter befindet sich teilweise nackter Boden.«
»Da kommt man leicht ran.«
»Aber es gibt nicht überall Holzbohlen. In einem Teil des Kellers besteht der Boden aus einer soliden Schicht Zement.«
»Der Arzt ließ das Haus umbauen. Vielleicht hat er den Schatz … versiegelt?«
»Und sehr viel später wollte er sein Wissen darüber nicht mit ins Grab nehmen. Deshalb schrieb er die Liste«, ergänzte Sharon. »Aus persönlichen Gründen zog er Eva nicht früher ins Vertrauen.«
Raupach trat zurück. »So könnte es gewesen sein.«
»Ja.« Sharon betrachtete ihn mit wachsender Sympathie. »Sie sind ein guter Partner. Wir lagen näher zusammen, als ich dachte.« Sie klopfte ihm spielerisch auf die Schulter.
Unwillkürlich verglich er sie mit Photini. Die beiden besaßen eine ähnliche Statur. Sharons Haar war genauso dunkel, aber kürzer und modischer gestylt. Um die Hüften war sie überraschend rund, das fiel ihm erst jetzt auf. Ihr Gesicht wirkte reifer, ihre Augen lagen tiefer in den Höhlen. Er fragte sich, ob sie auch ein Privatleben hatte oder ob sie nur für die Rätsel ihrer Herkunft lebte.
Sharon bemerkte, wie er sie betrachtete. Nicht mit seinem Polizistenblick. Weicher. »Was machen wir jetzt?«
»Wir gehen nachsehen.«
Raupach telefonierte mit Caberidis, dem Staatsanwalt. Der war ihm ohnehin noch einen Gefallen schuldig und stimmte dem Vorhaben des Kommissars sofort zu. Es war früher Abend, Caberidis beeilte sich, einen Richter an die Strippe zu bekommen.
Als Nächstes verständigte Raupach Hattebier, den Chef der Spurensicherung, und wies Effie Bongartz an, am folgenden Tag schweres Gerät einzusetzen. Für eine entsprechende Suchaktion war es bereits zu spät am Tag. Effie sollte alles in die Wege leiten, um einen Schatz zu heben, sich notfalls mit Archäologen beraten wegen spezieller Ortungsinstrumente. Er vergewisserte sich, dass die Villa gegen unbefugtes Eindringen gesichert war. Dann berief er sein Team ein und erläuterte die Lage. Jakub kam, Reintgen und Hilgers, Niesken und Photini, die Sharon so kritisch musterte wie einen Wolf, der Kreide gefressen hat. Höttges fehlte. Er war noch unterwegs in Bergheim, um die Arzthelferin Karen Baltes zu vernehmen, wie er über Handy mitgeteilt hatte.
»Dann sehen wir uns morgen früh«, schloss Raupach.
»Und was ist mit ihr?« Photini deutete auf Sharon. Dieser Deal behagte ihr gar nicht. Klemens hatte sich um den Finger wickeln lassen. »Sicherungsverwahrung? Wir haben noch eine Zelle frei.«
»Die werden wir nicht brauchen«, versicherte Raupach und reichte Sharon ihre Geldbörse, Pass und das Handy. »Miss Springman steht auf unserer Seite.«
AUSNAHMSWEISE LIESS sich Raupach einen Dienstwagen geben, mit Automatikschaltung. Er fuhr selten Auto, all diese umständlichen Handgriffe und Funktionen, die Ablenkung durch den Verkehr. Er brachte Sharon zu ihrer Pension im Agnesviertel. Die
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