Das dunkle Erbe
Fesseln befreit.«
»Für einen Krebskranken bist du ganz schön clever«, sagte Raupach.
»Ich wäre ein guter Polizist geworden. Vielleicht hätte ich bei deinem Verein angeheuert, wenn du mich an deiner Arbeit mehr Anteil hättest nehmen lassen.«
»Der Staatsdienst war nichts für dich.«
»Um das klarzustellen, Klex: Ich habe großen Respekt für das, was du tust.« Felix machte eine Pause und trank einen Schluck aus seiner Schnabeltasse. »Du unternimmst etwas, damit die Gesellschaft nicht auseinanderfällt. Ich habe die Leute nur ausgebeutet. Ich habe ihnen die Hoffnung auf mehr Geld verkauft. Mit Zahlen jongliert, Provisionen eingestrichen. Die Bezahlung war grotesk hoch. Für dich muss das eine einzige Demütigung gewesen sein.«
»Aber nein. Du hast eben in anderen Dimensionen gedacht. Bist mehr Risiken eingegangen.«
»Der schnöde Mammon. Er ruft so viele Neider auf den Plan. Dabei war das für mich immer zweitrangig.«
»Späte Reue?« Raupach nahm kein Blatt vor den Mund. Jetzt nicht mehr.
»Du hast keine Vorstellung davon, was ich alles vermisse. Und was mir leidtut.« Felix hielt inne. Mit der Vergangenheit tat er sich schwer. »Wir wollten doch seit einer Ewigkeit nach Schottland fahren. Die alten Orte aus der Jugend besuchen, von unseren InterRail-Ferien, damals 1984. Ich hab das immer wieder verschoben. Weil ich annahm, dass dafür noch genügend Zeit blieb.«
Felix tastete nach dem Schottland-Bildband, den Raupach ihm geschenkt hatte. Ein schweres, großformatiges Buch. Er hob es an. Es war zu schwer für seine Handgelenke, der Pfleger würde es ihm reichen und aufblättern müssen. »Hörst du mich, Klex?«, sprach er ins Telefon.
»Ja.«
»Weißt du noch? Diese Landzunge irgendwo bei Gairloch?«
»Der Wind hat unser Zelt fast ins Meer geblasen.«
»Es regnete aus Eimern, cats and dogs, tagelang. Wir wanderten durch den Matsch, kamen uns vor wie echte Highlander.«
»Ja.«
»Es war wunderschön.«
»Das war es.«
»Was haben wir damals gesagt? Bei diesem verfallenen Turm an der Küste?«
»Keine Ahnung«, gab Raupach zu.
»Ein guter Platz, um eine Truhe Gold zu vergraben. Wir lasen Wiedersehen mit Brideshead, das war unsere Bibel.«
»Stimmt, ich erinnere mich.«
»Und was haben wir gelobt?«
Raupach schloss die Augen und konzentrierte sich. Eine Landschaft, vom Meer und der Witterung abgeschliffen. Buchten, Strände, Klippen. Ein Himmel, der dauernd in Bewegung war. Das Gefühl, an einer Grenze zu stehen.
Dann fiel es ihm ein. »Wir wollten überall, wo wir glücklich waren, etwas Kostbares in der Erde verstecken. Dann konnten wir, wenn wir alt und hässlich und elend geworden waren, zurückkommen, es wieder ausgraben und uns in die Vergangenheit zurückträumen.«
»Du weißt es noch«, sagte Felix bewundernd. »Jedes Wort.«
»Manchmal bleibt eben doch etwas hängen.«
»Ich möchte da wieder hin. Ich möchte noch einmal mit den Füßen in der Brandung stehen.«
»Das Wasser ist eiskalt da oben.«
»Klar.«
»So eine Tour lässt sich schwer wiederholen«, meinte Raupach. »All diese neuen Erfahrungen. Beim zweiten Mal ist alles anders, immer ist das so, das haben wir damals nicht bedacht. Die Dinge bleiben dann hinter den Erwartungen zurück. Und wir selber natürlich auch, weil wir nicht mehr die Gleichen sind.«
Felix überlegte. »Schade.«
»Wir haben diese beiden Jungen in Schottland gelassen. Sie standen an diesem grauen, dunklen Strand und blickten aufs Meer hinaus und hatten noch keine Ahnung von der Zukunft. Wir aber sind weggegangen. Wir haben unsere Sachen gepackt, bauten unser Zelt ab, stiegen in den Bus, später dann in den Zug und fuhren weiter. In den Süden, wie du weißt. Wir brauchten Sonne.«
»Du trittst auf meine Träume, Klemens.«
»Das wollte ich nicht.«
»Ruf mich wieder an.« Felix legte auf.
SHARON TRUG ein Polokleid, schwarz, ärmellos, mit sportlichem Kragen und einem schmalen Taillengürtel. Sie hatte sich feingemacht, ihr Haar war voller Gel, es sah aus, als käme sie gerade aus der Dusche. Ihre Haut wirkte geglättet, die Schatten unter ihren Augen waren verschwunden.
Sie schlug ein Restaurant in der Nähe vor, ein ziemlich teures, internationale Küche mit Schwerpunkt Pazific Rim, was immer das heißen mochte.
»Sie sind gar nicht nachsehen gekommen, wo ich so lange bleibe«, sagte Sharon. »Haben Sie nicht gedacht, ich flüchte über die Feuerleiter?«
»Ich hatte ein wichtiges Telefongespräch.«
»Wegen der
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