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Das dunkle Erbe

Das dunkle Erbe

Titel: Das dunkle Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Kastura
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Menschen?«
    »Mit denen habe ich täglich zu tun, in allen Ausprägungen. Wenn ich sie auch noch malen würde, käme mir das wie ein Tagebuch vor. Oder wie die Phantombilder des Erkennungsdienstes. In eine Landschaft kann ich mehr Phantasie hineinlegen. Darstellen, was noch kommen wird.«
    »Ich würde Ihre Bilder gern sehen.«
    »Es gibt bloß ein paar.« Sein Blick glitt zu der brennenden Kerze. »Versuche. Das lohnt sich nicht.«
    Wein und Wasser kamen, Brot, Teller. Das Lokal war gut besucht. Die Tische standen so, dass man für sich blieb und die Gespräche der anderen Gäste nur gedämpft wahrnahm. Schwarze Wandtäfelung. Viel Silber. Neben ihrem Platz hing ein großer rechteckiger Spiegel an der Wand und verdoppelte den Raum, die Lichter, Gläser, Augenpaare. Sie stießen mit dem Weißwein an, einem Sancerre, und ließen die Atmosphäre auf sich wirken.
    Sharon hob sich von der weißen Tischwäsche ab wie eine Schachfigur. Sie saß still und gerade, vermied überflüssige Bewegungen. Die Zeit tröpfelte dahin.
    Der Kellner brachte Austern und Bulots auf einer mehrstöckigen Platte, auf viel zerstoßenem Eis, umgeben von Zitronenscheiben und Fenchelgrün.
    Sie lächelten einander zu und fingen an. Raupach aß die erste Auster ohne Vinaigrette. Er schloss die Augen, genoss das Unverfälschte, den Ozean in seinem Mund.
    Dann sah er in den Spiegel und erschrak. Er saß hier vor einem Festmahl, das Felix noch nicht einmal zu schmecken imstande war. Während er schlemmte, quälten seinen Freund Gedanken an Erlebnisse, die ihm nie mehr vergönnt sein würden. Raupach bekam ein schlechtes Gewissen.
    Ob etwas mit den Austern nicht in Ordnung sei, erkundigte sich der Kellner.
    Nein, die Austern seien gut, sagte er. Zu gut, gewissermaßen.
    Zu diesem Zweck würden sie gezüchtet, sagte Sharon. Damit sie in den Magen gelangten und man dabei Befriedigung empfand. Das solle er nicht gering achten, auch wenn es sich viele Leute nicht leisten konnten. Oder aus anderen Gründen nicht in der Lage waren, eine leckere Mahlzeit zu genießen.
    Er werde daran denken, erwiderte Raupach und hörte auf, sich zu schämen. Felix hatte sicher kein Verständnis dafür, wenn er es an Respekt für einen vielversprechenden Abend mit einer schönen Frau fehlen ließ. Er schlürfte die nächste Auster auf das Wohl seines Freundes. Dann pulte er ein Bulot mit einem Spießchen aus der gewundenen Schale und kaute eine Weile auf dem gummiartigen Körper herum. An der französischen Küste bekam man diese Schnecken zu einem Spottpreis, die Austern waren dort auch erschwinglich. Alles war relativ.
    Sie unterhielten sich über unterschiedliche Formen des Genießens. Dass man sich hin und wieder etwas gönnen musste, ohne Reue, das sei sonst verlogen, wozu gebe es all die guten Dinge, wenn sie nicht halfen, die unerfreulichen Seiten des Lebens eine Zeitlang auszusperren?
    Sharon erzählte von ihrer Großmutter, die Hotdogs über alles liebte, obwohl sie nicht koscher waren. Sie habe noch auf ihrem Sterbebett danach verlangt. Alle Familienmitglieder, selbst die nichtorthodoxen, protestierten. Sie solle sich wenigstens im Angesicht des Todes beherrschen, an höherer Stelle komme ein Fehltritt mit einem Würstchen aus Schweinefleisch nicht gut an. Sharon holte trotzdem einen Hotdog vom Straßenverkauf und gab ihn ihrer Oma mit den Worten: Hier, dein Thunfischsandwich. Alle widersprachen, das sei doch ein Hotdog. Darauf sagte die Großmutter, es interessiere sie nicht, wie ihr Thunfischsandwich heiße.
    Raupach schmunzelte.
    Auch Austern und Meeresfrüchte seien trefe, unrein, sie fielen unter schleichendes und kriechendes Getier. All diese Gesetze und Regelungen. Sharon verstände schon, dass sie den Menschen Halt gaben, erst recht in unsicheren Zeiten. Aber wenn sie zur Last wurden und den Blick verstellten, die Maßstäbe verschoben, verfehlten sie ihren Sinn.
    Deshalb setze sie sich wohl so leichtfertig über Gesetze hinweg, meinte Raupach und spielte auf den Einbruch in die Villa an. Weil sie es wohl besser wisse als alle anderen.
    Genau, manchmal sei das so. Sie könne es nicht ertragen, eine einmalige Gelegenheit vorüberstreichen zu sehen. Das sei Verrat an der Freiheit. Wenn Raupach Verbrecher am Sabbat laufen ließe, so dass sie weiter Straftaten begehen konnten, wäre das auch nicht im Sinne des Erfinders. Nein, man müsse tätig werden, wenn man gefordert sei. Aufstehen, wenn man an der Reihe war. Nichts verschwenden.
    Auf diese Weise kamen

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