Das dunkle Fenster (German Edition)
entnervt auf.
Viktor Kusowjenko war vom Erdboden verschwunden. Sein Club hatte den Besitzer gewechselt und jeder, der ihn kannte, gab nur die Auskunft, dass Kusowjenko das Revier gewechselt hatte. Wohin? Wusste keiner. In Moskau hielt er sich jedenfalls nicht mehr auf. Schon lange nicht mehr.
Nikolaj fragte sich, ob einer dieser Leute wohl Viktor anrufen und ihm sagen würde, dass ein Kerl nach ihm suchte. Nun, es sollte ihm recht sein. Vielleicht machte das Viktor nervös und er beging einen Fehler.
Am folgenden Tag organisierte Carmen einen Wagen. Sie kaufte ihn von einem Privatanbieter, der erfreut darüber war, dass sie sich für den Papierkram nicht interessierte und in bar zahlen wollte. Den gestohlenen Ford ließ sie in einer Tiefgarage im Norden Münchens stehen. Nikolaj überlegte währenddessen, wie er weitermachen sollte. Es gab noch eine letzte Möglichkeit. Wenn wer über Viktors gegenwärtige Geschäfte und vor allem seinen Aufenthaltsort Bescheid wusste, dann vermutlich jemand aus der Bracci-Familie. Anna Tiépola kam ihm in den Sinn, Francesco Braccis Nichte. Die Frau, mit der er wohl noch immer verheiratet war, jedenfalls unter seiner Nico Delani-Identität. Vielleicht hatte sie die Ehe inzwischen aber auch annullieren lassen. Kurz fragte er sich, wie sich ihr Leben entwickelt hatte, nachdem er mit einem Knall daraus verschwunden war. Wie sie den Tod von Michael Verheyen verkraftet hatte, diesem Fotografen, den sie doch ohnehin nur benutzt hatte, um ihn eifersüchtig zu machen. Verheyen, der scheinbar auch mehr gewesen war, als er nach außen vorgab. Warum sonst hatte er an jenem Tag in Berlin versuchen sollen, ihn mit geladener Waffe aufzuhalten, kurz nach Rosenfeldts Tod?
Nikolaj stand auf und ging zum Fenster. Während er sich hinauslehnte und die vorbeilaufenden Fußgänger betrachtete, konkretisierte sich die Idee. Francescos Loyalitäten hatten sich zwar gewandelt, nachdem Nikolajs Alibi in Berlin aufgeflogen war. Aber das änderte nur wenig. So oder so – Nikolaj war überzeugt, dass er seine Informationen von Francesco beziehen konnte, wenn er nur nah genug an ihn herankam.
Francesco ausfindig zu machen erwies sich als überraschend einfach. Er lebte noch immer in Venedig und seine alte Telefonnummer lief – anders als bei Gregor – nicht ins Leere.
Carmen rief ihn an, während Nikolaj neben ihr stand und zuhörte. Sie wechselte zu Englisch mit einem harten arabischen Akzent und stellte sich einfach nur als Fawzie vor. Dann nannte sie ein Codewort, das Nikolaj ihr gegeben hatte und das eine heftige Reaktion bei Francesco auslöste.
„Wer sind Sie?“, fragte er barsch.
Carmen ging nicht darauf ein, so wie sie es zuvor mit Nikolaj besprochen hatte. „Wollen Sie mit uns Geschäfte machen oder nicht? Vielleicht hat unser Kontakt gelogen und Sie sind gar nicht der Mann, den wir brauchen?“
„Woher haben Sie diesen Code?“
„Dann suchen wir uns einen anderen Partner“, erwiderte Carmen. Sie murmelte etwas Unverständliches und tat, als wolle sie gleich auflegen.
„Halt, warten Sie“, sagte Francesco schnell. „Bleiben Sie am Telefon. Ich muss mich schließlich absichern. Ich wüsste wirklich gern, woher Sie den Code haben. Er ist ziemlich alt. Er wird seit einiger Zeit nicht mehr benutzt.“
„Wollen Sie jetzt mit uns ins Geschäft kommen oder nicht?“
„Kommt darauf an.“ Die Stimme des Italieners senkte sich zu verschwörerischer Freundlichkeit. Er sprach ein flüssiges Englisch mit kaum merklichem Akzent.
Carmen war aufgeregt, Adrenalin rauschte durch ihre Schläfen. Aber das durfte sie sich nicht anmerken lassen.
„Worauf?“
„Was für Geschäfte Sie meinen. Und für wen Sie arbeiten.“
„Wir möchten Ausrüstung kaufen. Gewehre für etwa fünfhundert Mann. Flugabwehrraketen und Mörser.“ Sie hörte seinen Atem am anderen Ende. „Können Sie etwas für uns tun?“
Er zögerte. Für einen Moment war nur Schweigen in der Leitung. Und seine Atemzüge. Er dachte jetzt angestrengt nach. Er fragte sich, ob das eine Falle war oder eine ernstzunehmende Offerte.
„Wenn Sie das liefern können“, schob Carmen nach, „dann würden wir Sie gern treffen. Um über die Modalitäten zu sprechen.“ Um über Geld zu reden.
„Gut“, sagte Francesco nach einer langen Pause. Er hatte seine Überraschung verwunden und beschlossen, darauf einzugehen. Waffen für fünfhundert Mann.
Er hatte den Köder geschluckt. Wenigstens so weit, dass er entschied, sich den
Weitere Kostenlose Bücher