Das dunkle Fenster (German Edition)
hätte er sonst tun sollen? Er hatte keinen Grund, offene Feindschaft zu demonstrieren. Ebenso wie Nikolaj versuchte er sich möglichst alle Optionen offen zu halten. Jetzt war es also an Nikolaj, einen Treffpunkt zu bestimmen. Plausibel musste er sein, und gleichzeitig ein hohes Maß an Sicherheit gewährleisten, für beide Seiten. Ein öffentlicher Ort und zwar einer, an dem er sich gut auskannte.
„Was ist?“, fragte Carmen. „Lässt er sich darauf ein?“
„Sicher tut er das.“ Nikolaj tastete nach den Zigaretten und zündete sich eine an. „Er hat nichts zu verlieren.“
„Wie meinst du das?“
„Wie ich das meine?“ Er konnte nicht verhindern, dass sein Tonfall sarkastisch wurde. „Also wenn ich er wäre, dann würde ich erst mal zu allem Ja sagen, und meinen guten Willen demonstrieren. Dann warte ich, bis der andere den Treffpunkt definiert. Ich wiege ihn so lange wie möglich in Sicherheit, und wenn er nicht mehr damit rechnet, lasse ich die Falle zuschnappen. Dann lege ich ihn um.“
Carmen antwortete nicht, aber Nikolaj sah im Augenwinkel, wie sie langsam nickte.
„Für Viktor ist es gut, dass ich ihn treffen will. Dann braucht er mich nicht länger zu suchen. Mein einziger Vorteil ist, dass er mich als Bedrohung ernst nimmt. Deshalb wird er selbst kommen. Ich werde ihn sehen, aber Viktor könnte versuchen sicherzustellen, dass es das letzte ist, was ich in diesem Leben zu sehen bekomme.“
„Das scheint dich ja nicht besonders zu beunruhigen“, erwiderte sie lakonisch.
„Ich mache mir nur keine Illusionen.“
„Und was willst du jetzt tun?“
„Wir“, er betonte dieses Wort, „werden uns vorbereiten. Wir müssen einen Treffpunkt bestimmen. Und dann müssen wir sicherstellen, dass wir die Regeln für das Treffen aufstellen und nicht die anderen.“ Er lächelte schmal. „Alles hängt von unserem Plan ab. Wenn wir einen guten Plan haben, dann überleben wir das vielleicht nicht nur, sondern kriegen auch noch, was wir wollen.“
„Scheiße. Sag mir, wie ich in das alles rein geraten konnte.“
Nikolaj schwieg. „Wo leben noch mal deine Eltern?“, fragte er nach einigen Sekunden.
„Warum willst du das wissen?“ Sie klang irritiert.
„Sag’s mir einfach. Wo bist du aufgewachsen?“
„In Duisburg.“
„Siehst du, wärst du einfach in Duisburg geblieben und hättest ein ordentliches Studium angefangen, wie deine Freundinnen, statt Revolutionärin zu werden, dann wärst du jetzt nicht hier.“
„Du hast sie ja nicht alle.“ Ein Schild tauchte auf und kündigte das Ende der Autobahn an. „Wo fahren wir eigentlich hin?“, wechselte sie das Thema.
Nikolaj überflog die Richtungsbezeichnungen. „Prag. Wir fahren weiter in Richtung Prag.“
Carmen wandte ihm ruckartig den Kopf zu. „Warum das denn? Willst du dem Kerl etwa einen Besuch abstatten? Du hast selbst gesagt, dass er in einer verdammten Festung ...“
„Will ich nicht“, unterbrach er sie. „Prag liegt nur zufällig auf unserer Route. Wahrscheinlich werden wir auch nur daran vorbei fahren.“
„Ah. Und dann?“
„Weiß ich noch nicht. Ich will einfach in Bewegung bleiben.“
57 Berlin, Flughafen Tegel | Deutschland
Die Air France Maschine aus Paris landete pünktlich um neun Uhr auf dem Berliner Flughafen Tegel. Rafiq trug einen dunkelgrauen Anzug, in dem er unter den anderen Passagieren nicht auffiel. Im Ankunftsbereich brauchte er einige Sekunden, um zwischen den vielen Menschen seinen Kontakt von der Berliner Station auszumachen. Dann entdeckte er das Schild mit der Aufschrift ‚Dupont Facilities’, das von einer unscheinbaren Frau mittleren Alters hochgehalten wurde. Er drängte sich zwischen den Leuten hindurch und trat auf sie zu.
„Hallo“, sagte er höflich. „Ich bin Rafiq.“
Sie sah ihm prüfend ins Gesicht, dann entspannte sich ihre Miene. „Ja, das stimmt“, erwiderte sie. „Kommen Sie, ich bringe Sie zu Ihrer Unterkunft.“
In zügigem Tempo verließen sie das Terminal-Gebäude und folgten den Wegweisern zu den Parkplätzen.
„Wie heißen Sie?“, fragte Rafiq.
„Ich bin Sonja“, sagte die Frau, während sie einen silberfarbenen Opel Vectra aufschloss. „Steigen Sie ein.“
Sie ließ den Motor an und drehte die Lautsprecher des Radios leise. „Wie war Ihr Flug?“, erkundigte sie sich. Ihre Stimme klang ausdruckslos und machte deutlich, dass sie aus reiner Höflichkeit fragte.
„Danke.“ Rafiq musterte sie von der Seite. „Sind die anderen schon
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