Das dunkle Fenster (German Edition)
angekommen?“
„Nein. Sie sind der erste.“
„Und wann ...“
„Heute Abend.“
Rafiq versuchte nicht länger, sich mit ihr zu unterhalten. Er angelte nach dem Sicherheitsgurt und ließ ihn einrasten, dann lehnte er sich zurück und sah aus dem Fenster. Er war müde, sehnte sich nach einer Dusche und nach einem frischen Kaffee, obwohl der Tag gerade erst begonnen hatte. Die Anreise über Paris hatte sich wie immer als umständlich und nervenaufreibend erwiesen. Auf dem Flughafen Charles deGaulle herrschte ein Chaos aus hektischen Menschenströmen, die Maschine aus Tel Aviv landete mit zweistündiger Verspätung und Rafiq hatte die Nacht schließlich in Paris in einem viertklassigen Airport-Hotel verbracht.
Während sie an Industriegebäuden und alte Backsteinhäusern vorbeifuhren, versuchte er das Unbehagen auszuloten, das seit Tagen an ihm fraß und wie ein Störfeuer jeden anderen Gedanken überlagerte. Er hatte erwartet, dass die Wiederaufnahme der operativen Aktivitäten ihm Auftrieb gab, aber das blieb vergebliche Hoffnung. Seine letzte Unterhaltung mit Katzenbaum kam ihm in den Sinn, die Diskussion über einen möglichen Verräter innerhalb des Dienstes. Dieses Mal würden sie den Kreis der Informationsträger klein halten, hatte Katzenbaum gesagt. Nur das Operationsteam selbst, Binyamin Shalev und natürlich der Direktor, der alle Aktionen genehmigen musste. Trotzdem konnte Rafiq sich des Gefühls nicht erwehren, dass alles von einem subtilen Missklang durchwoben war. Je länger er darüber nachdachte, desto stärker festigte sich seine Überzeugung, dass ihre Jagd auf Fedorow vom ersten Tag an durch einen geheimnisvollen Dritten boykottiert wurde.
‚Vertraust du Cohen?’ Rafiq hatte Katzenbaum nicht ohne Grund diese Frage gestellt.
Sonja setzte den Blinker und zog nach rechts in eine Ausfahrt. Rafiq musterte die Straßenschilder. In den vergangenen Jahren war er häufig in Deutschland gewesen, sprach sogar ein recht passables Deutsch. Berlin hatte er allerdings nur ein einziges Mal besucht, und das war 1997 gewesen, also vor fast zehn Jahren.
„Wo fahren wir hin?“
„Eine Wohnung in Schöneberg“, antwortete Sonja, ohne den Blick von der Straße zu wenden. „Eine sichere Wohnung.“
Sie fuhren in ein Wohngebiet, das aus lauter drei- und vierstöckigen Häuserblocks bestand. Neben einem kleinen Lebensmittelladen stoppte Sofia den Wagen. Sie gab Rafiq einen Schlüsselbund.
„Zweite Etage links. In der Parallelstraße steht ein dunkelgrüner VW Golf mit Berliner Kennzeichen. Den können Sie benutzen. Oben in der Wohnung finden Sie die Papiere und die restliche Ausrüstung. Es gibt ein verstecktes Fach im Wohnzimmerboden, rechts neben der Tür.“
„Vielen Dank.“
„Sie können mich in der Botschaft erreichen. Die Nummer haben Sie ja.“
Rafiq stieß die Tür auf. „Ich kann mich frei bewegen?“
Ein kleines Lächeln fing sich in Sonjas Mundwinkel. „Dies ist ein freies Land.“
58 Mlada Boleslav | Tschechische Republik
Nikolaj hatte zuerst überlegt, Kusowjenko erneut von einem Mobiltelefon aus anzurufen, sich dann aber für die Telefonzelle entschieden. Sie hatten in Mlada Boleslav Halt gemacht, sechzig Kilometer von Prag entfernt, und Nikolaj wollte, dass die Rufnummer auf Kusowjenkos Display auftauchte. Das würde Viktor unter Druck setzen. Das Wissen, dass Nikolaj sich ganz in der Nähe aufhielt und dass Entfernungen Kusowjenko nicht schützen konnten.
Die Zeiger auf seiner Armbanduhr standen auf kurz vor elf Uhr; Carmen war im Hotel zurückgeblieben, um auszuchecken und ein paar notwendige Einkäufe zu tätigen. Er fühlte sich erschöpft; ihm saß immer noch die letzte Nacht in den Knochen. Sie waren gut fünfhundert Kilometer gefahren, bis sie gegen drei Uhr morgens diese große und unansehnliche Industriestadt nördlich von Prag erreicht hatten. Nikolaj ließ eine Handvoll Münzen in den Metallschlitz fallen und wartete auf das Freizeichen. Nachdem er die Nummer gewählt hatte, knackte es ein paar Mal in der Leitung. Ein Computer schaltete sich ein. Eine Frauenstimme sagte etwas auf Tschechisch, das Nikolaj nicht verstehen konnte, aber dann wiederholte sie die Ansage auf Englisch: „The number you’re calling is currently not available. Please try again later.“ – Die gewählte Nummer ist nicht vergeben. Bitte versuchen Sie es erneut.
Nikolaj murmelte einen Fluch und trennte die Verbindung.
59 Berlin | Deutschland
Die Wohnung im ersten Stock war groß und
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